Generation McJob

Der lebenslange Beruf scheint vom Aussterben betroffen zu sein, Jobs mit zeitlicher Begrenzung sind im Kommen. Ob erzwungen oder freiwillig – den ArbeitnehmerInnen der neunziger Jahre bleibt nur das Basteln an der Patchwork-Biographie  ■ Von Matthias Steube

Baum zeugen. Haus pflanzen. Kind bauen. Damit Sie bei der Karriereplanung nicht durcheinanderkommen: Junge Karriere. Mit Orientierung für die berufliche Laufbahn bewirbt der Ableger eines Wirtschaftsblattes so junge Leser. Ein Anachronismus in einer Zeit, in der bereits 30jährige Berufswege hinter sich haben, die vor allem mit Zufall, Glück oder Marktzwängen zu tun haben. Berufsbiographien bestehen immer häufiger aus einem Flickenteppich unterschiedlicher Erfahrungen, aus Abbrüchen, Quereinstiegen, Arbeitslosigkeit, Neuanfängen.

Zum Beispiel der Schlagersänger Julio Iglesias. Der 55jährige Schnulzenstar vernachlässigt nach mehr als 200 Millionen verkaufter Schallplatten seinen Beruf, geht jetzt zur Uni, um sein vor mehr als 30 Jahren abgebrochenes Jurastudium zu beenden. „Cchhulio“, der Lebenssatte, kehrt bildungshungrig zur nährenden Mutter zurück, webt noch den Schlußfaden in den Biographieflicken „akademischer Abschluß“, obwohl (oder weil?) er ihn als Karriererampe nicht mehr nötig hat. Und wahrscheinlich würde es auch nicht mehr funktionieren.

„Daß die Berufsausbildung Grundlage für einen Beruf ist, den man lebenslang ausübt, behauptet kaum noch von jemand“, sagt Angela Paul-Kohlhoff, Professorin am Institut für Berufspädagogik der Technischen Hochschule Darmstadt. Und der Soziologe Michael Corsten vom Berliner Max- Planck-Institut für Bildungsforschung konstatiert: „40 bis 50 Prozent derjenigen, die eine berufliche Erstqualifikation haben, ergreifen etwa zehn Jahre nach ihrem Ausbildungsabschluß eine Beschäftigung in einem anderen Tätigkeitsfeld.“

Entweder, weil der Wandel von der Industrie- zur Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft diesen Wechsel unter Strafe der Arbeitslosigkeit erzwingt. Oder weil junge Jobkünstler als Bastler am eigenen Ich mit fertigen Berufsmodellen erst gar nicht hantieren wollen. Arbeit ist Selbstbestätigung. Die modernen Erwerbsarbeiter hüten sich aber davor, sich wie frühere Generationen allein durch die Arbeit, den Beruf zu definieren. Selbstverwirklichung im Beruf? – Das klingt wie Kunst am Bau. Und die ist auch in der Krise.

„Wenn ich in meinem Leben mehrere Berufe ausüben soll, ist es unmöglich, klare Orientierungslinien einzuhalten. Gerade der Abschied davon führt in die Erwerbsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“, meint Christoph Clermont, Fotograf, Graphiker, Programmierer.

Sich bewußt für ein Patchworking zu entscheiden, ist eine Sache. Doch viele rutschen eher zufällig in ihren jeweiligen Lebensabschnittsberuf hinein. So wie die Kristina Kanzenbach. Im Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf hat die heute 30jährige von 1986 bis 1988 eine DDR-Ausbildung zum Facharbeiter für Umschlag und Lagerung gemacht, inklusive Kran- und Staplerpaß. Den hat sie dann gegen den Mutterpaß eingetauscht. Nach drei Jahren Erziehungsurlaub fängt sie als Raumpflegerin wieder an, jobbt als „Verkäuferin“, ist dann „nur Hausfrau“ und beginnt 1995 eine Umschulung zur Hotelfachfrau. „Ich wollte nicht ewig Hausfrau bleiben. Das war bei uns nicht üblich.“ Aber einen Teilzeitjob wie sie ihn anschließend in einem Hotel „als Mädchen“ für alles übernahm, kannte man in der DDR auch nicht. Dafür aber die Vereinbarkeit von Beruf, Familien- und Hausarbeit. Derzeit arbeitet Kristina wieder als Verkäuferin in einem Supermarkt: „Vielleicht schaff' ich's zur Filialleiterin.“

McJob oder Traumjob? Man nimmt, was gut kommt, macht, was man kann – auch ohne Zertifikat, pendelt zwischen den verschiedensten Studiengängen und landet abgebrochen, halbfertig, aber total flexibel bei Computerfirmen, Werbeagenturen und anderen Jungunternehmen. Oder macht selbst ein solches auf.

Kennzeichen der neuen Arbeitszeit ist die Unsicherheit. Kritisch sind besonders die Übergänge: Schule/Ausbildung, Examen/Berufseinstieg, Familienphase/Berufsrückkehr. Bestimmte Übergänge, Statuspassagen, sollten besser abgesichert sein, fordert Michael Corsten. Aber reicht das? Das Berufsprinzip scheint nicht mehr zu schützen vor den Risiken der abhängigen Beschäftigung. Arbeitslose haben seit 1997 keinen Anspruch mehr auf Rückkehr in den erlernten Beruf. Mehr noch: Das Berufsprinzip wird von Industriesoziologen als „Barriere für den notwendigen Prozeß der Modernisierung“ betrachtet.

Und Angela Paul-Kohlhoff stellt sich die Frage, „ob angesichts der auch von den Jugendlichen wahrgenommen Diskontinuitäten der Erwerbsbiographien das Berufsmodell als Orientierungsgröße für die Berufsausbildung nicht an Legitimation verliert“.

Aber deutsche Bildungsplaner und -forscher werden vermutlich solange am Berufsprinzip und an Lebensverläufen wie ordentlicher Beruf, Haus bauen, Kind zeugen, Baum pflanzen festhalten, bis die Rente sie von ihrem geliebten Beruf scheidet.