Als Fraktionschef nur sechste Wahl

■ Peter Struck soll neuer SPD-Fraktionschef werden. Er gilt als handwerklich fähiger Polit-Manager, ist aber kein begnadeter Redner

Bonn (taz) – Peter Struck war unvorsichtig. Der Fraktionsvorstand hatte gerade mit 28 zu 12 Stimmen für den ersten parlamentarischen Geschäftsführer und gegen seinen Kontrahenten Ottmar Schreiner als künftigen Fraktionsvorsitzenden abgestimmt, da kam der 55jährige freudestrahlend aus dem Saal. Hätte er wie üblich seine Pfeife im Mund gehabt, wäre das nicht so aufgefallen. Aber so könnte man nach den Erfahrungen der letzten Tage fragen: Hat er es sich mit der leidgeprüften Fraktion, die ja erst am Dienstag endgültig entscheidet, durch soviel Siegesgewißheit verscherzt?

Die Fraktion ist nach den Vorgängen der jüngsten Zeit empfindlich. Erst wollte ihr Parteichef Oskar Lafontaine Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering aufzwingen. Dann befahl der künftige Kanzler Gerhard Schröder den noch amtierenden Fraktionsvorsitzenden Rudolf Scharping ins Amt des Verteidigungsministers. Und danach hatten die Medien sich nach der Absage von der Wunschkandidatin Ingrid Matthäus-Maier sowie von Anke Fuchs schon auf Peter Struck als aussichtsreichsten Kandidaten festgelegt. Die Fraktion möchte aber mal wieder selbst über ihre Belange bestimmen.

Deswegen gab es nicht wenige Abgeordnete, die nach der Abfuhr für Scharping den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Ottmar Schreiner um seine Kandidatur baten, „dringend baten“, wie es heißt.

Aber natürlich ist an der Entscheidung für den bisherigen parlamentarischen Geschäftsführer nichts mehr zu rütteln. Der scheidende Fraktionsvorsitzende Rudolf Scharping hatte vor und nach der Entscheidung mit den beiden Bewerbern um seine Nachfolge ein Einzelgespräch geführt, und erwartungsgemäß zog Schreiner nach der Abstimmungsniederlage im Fraktionsvorstand seine Kandidatur zurück.

Scharping konnte später vor den Mikrofonen sagen: „Man kann strittige Personalentscheidungen auch auf vernünftige und solidarische Weise lösen.“ Eine schallende Ohrfeige für Lafontaine.

Vor einigen Tagen hatte Struck noch niemand auf der Rechnung. Scharping oder Lafontaine hieß die Erwartung, und lediglich den Parteivorsitzenden hätte die Fraktion im Tausch für Scharping willig geschluckt. Und so traf es die Fraktion überraschend, als sie auf einmal einen neuen Kandidaten suchen mußte.

Scharping hatte gegenüber Schröder zur Bedingung gemacht, daß die Fraktion über seine Nachfolge selbständig entscheidet. Ingrid Matthäus-Maier und Anke Fuchs wollten ihre Lebensplanung so kurzfristig nicht ändern. „Wir sind nicht nur für Notlagen da“, sagte Anke Fuchs. Und Schreiner, verlautet aus seinem Umfeld, hätte noch ein paar Wochen gebraucht, um für sich zu werben.

Struck, der nach Scharping, Lafontaine, Müntefering, Matthäus- Maier und Fuchs nun im Grunde sechste Wahl ist, wird als parlamentarischer Geschäftsführer geschätzt. Beliebt und gefürchtet zugleich ist er wegen seiner Art, Leuten etwas auf den Kopf zusagen, statt um den heißen Brei herumzureden. Obwohl er schon als „Mann mit der Peitsche“ und „Sautreiber“ beschimpft wurde, hat er sich in allen Fraktionen einen guten Ruf erworben.

Fraglich ist allerdings, wie er der Aufgabe als Fraktionschef gewachsen sein wird. Der Jurist gilt zwar als fähiger, handwerklich geschickter Manager mit Sinn für politische Strömungen. Andererseits hat er kein politisches Spezialgebiet und ist auch kein besonders befähigter Redner. „Wer aus der Fraktion führt in Zukunft die große Unterstützungsrede im Bundestag?“ fragt ein Genosse besorgt. Und ein anderer sagt: Wenn man als Maßstab die bisherigen Fraktionsführer nehme, gehöre Struck eher zur zweiten Reihe.

Es werde aber nur wenige geben, heißt es, die nun total unzufrieden seien. Auch Gerhard Schröder gehört wohl nicht dazu. 1995 hatte er Struck noch vorgeworfen, das „Kartell der Mittelmäßigkeit“ in der SPD zu organisieren. Aber das Verhältnis zwischen den beiden scheint sich inzwischen bereinigt zu haben. Außerdem spricht noch etwas für Peter Struck: Lafontaine hat sich nicht für ihn eingesetzt. Markus Franz