Die Friedensnobelpreisträger 1998 gehören zu den Architekten des nordirischen Friedensabkommens. Der Katholik John Hume arbeitet schon länger für Versöhnung, dem Protestanten David Trimble wurde seine Politik in den eigenen Reihen übelgenommen Aus Dublin Ralf Sotscheck

Auszeichnung für den langen Marsch

Mit Friedensprozessen ist das so eine Sache – am Ende scheitern sie womöglich. Deshalb ist das Osloer Nobelkomitee auf Nummer Sicher gegangen. Der diesjährige Friedensnobelpreis geht an John Hume und David Trimble für ihren Einsatz im nordirischen Friedensprozeß. Gerry Adams von der IRA-Partei Sinn Féin wurde nicht berücksichtigt.

„Wir lassen Adams nicht aus“, sagte der Vorsitzende des Komitees, Francis Sejersted. „Wir haben einen Katholiken und einen Protestanten ausgezeichnet, die sich auf jeweils einer Seite besonders um den Friedensprozeß in Nordirland verdient gemacht haben.“ In der Begründung hob das Komitee die „positiven Beiträge anderer führender Persönlichkeiten in Nordirland sowie der Regierungen in Großbritannien, Irland und den USA“ hervor.

John Hume sei „unter den politischen Führern in Nordirland derjenige gewesen, der am eindeutigsten und nachdrücklichsten für eine friedliche Lösung gearbeitet“ habe, sagte Sejersted. „Die Fundamente des Friedensabkommens vom Karfreitag 1998 spiegeln die Prinzipien wider, für die er sich eingesetzt hat.“

Der 63jährige John Hume wuchs in Derry auf, das die Protestanten Londonderry nennen, seit sie sich im 17. Jahrhundert erfolgreich gegen die Belagerung der Truppen des katholischen Königs Jakob II. gewehrt hatten. Danach beherrschte die protestantische Minderheit die Stadt 300 Jahre lang uneingeschränkt. Bis vor 30 Jahren durften bei Gemeindewahlen nur Hausbesitzer wählen, und das waren mehrheitlich die Protestanten, die im übrigen auch die Jobvergabe kontrollierten.

So war auch John Humes Vater die meiste Zeit seines Lebens arbeitslos. Daß Hume dennoch studieren konnte, verdankt er den britischen Schulreformen nach dem Zweiten Weltkrieg, die Stipendien für Begabte vorsahen. Wie es in katholischen Familien üblich ist, sollte Hume als ältester Sohn eigentlich Priester werden, aber er studierte dann doch für ein Lehramt.

Gleichzeitig engagierte er sich für soziale Gerechtigkeit und gründete eine Häuserkooperative, um der Bevorzugung von Protestanten bei der Vergabe von Sozialbauwohnungen entgegenzuwirken.

Als der nordirische Konflikt Ende der sechziger Jahre ausbrach, wurde auch Hume in die aktive Politik getrieben. Anders als viele seiner Nachbarn in der Bogside, dem katholischen Ghetto Derrys, die in die militante „Irisch- Republikanische Armee“ (IRA) eintraten, gründete Hume die Social Democratic and Labour Party (SDLP), die sich für eine Demokratisierung der Krisenprovinz mit demokratischen Mitteln einsetzte. Ein Jahr lang war er Minister in der Regionalregierung, bis der damalige britische Premierminister Edward Heath 1974 das Belfaster Parlament auflöste.

Später wurde Hume ins britische Unterhaus und ins Europaparlament gewählt, und seitdem pendelte er zwischen Derry, London und Straßburg. Als das neue Belfaster Regionalparlament im vorigen Monat zusammentrat, überließ er das Amt des stellvertretenden Premierministers deshalb dem SDLP-Vize Seamus Mallon.

Es waren nicht zuletzt Humes Kontakte mit Gerry Adams, die zu diesem Parlament im Rahmen des Karfreitagsabkommens überhaupt geführt haben. Seit den achtziger Jahren arbeitete er mit dem Sinn- Féin-Präsidenten an einer Friedensstrategie und wurde dafür heftig kritisiert, weil die Gewaltkampagne der IRA unterdessen unvermindert weiterging.

David Trimble (54) hat dagegen während des gesamten Friedensprozesses kein einziges Wort mit Adams oder einem anderen Sinn- Féin-Vertreter gewechselt, die Kontakte fanden über Mittelsmänner statt. Erst im September, nach der ersten Parlamentssitzung in Belfast, kam es zu einem direkten Gespräch.

Das ist dem Unionistenchef Trimble in der eigenen Partei verübelt worden. Einige seiner Unterhausabgeordneten haben eine eigene Gruppe „Union First“ mit dem Ziel gebildet, das Karfreitagsabkommen zu Fall zu bringen.

Das Osloer Nobelkomitee erklärte in der Begründung fÜr die Preisvergabe: „Als Führer der traditionell dominierenden Partei in Nordirland hat David Trimble großen politischen Mut bewiesen, als er sich in einer kritischen Phase des Prozesses für Lösungen einsetzte, die zum Friedensabkommen führten.“

Dabei hatte man in London und Dublin aufgestöhnt, als er im September 1995 an die Spitze der Ulster Unionist Party (UUP) gewählt wurde. Trimble war der militanteste der fünf Bewerber. Ein Jahr zuvor stand er noch Hand in Hand mit dem radikalen Protestanten Ian Paisley auf den Barrikaden von Portadown und setzte nach einer Konfrontation mit der Polizei durch, daß der protestantische Oranier-Orden durch ein katholisches Wohnviertel marschieren durfte, um den historischen Sieg seines Namensgebers Wilhelm von Oranien über seinen katholischen Widersacher Jakob II. im Jahr 1690 zu feiern.

Seinen Ruf als Hardliner hatte sich Trimble freilich schon früher erworben. 1973 war er der Vanguard Unionist Party beigetreten, einer neofaschistischen Organisation, die enge Kontakte zu paramilitärischen Organisationen unterhielt. „Ein gewisses Maß an Gewalt mag unvermeidlich sein“, sagte Trimble damals. Ende der siebziger Jahre schloß er sich der UUP an.

Trimble war Anwalt, bevor er sich auf seine politische Karriere konzentrierte, nachdem er 1990 ins Londoner Unterhaus gewählt worden war. Trimble gilt als jähzornig. Als er bei einem Fernsehinterview erfuhr, daß der Sinn-Féin-Vize Martin McGuinness zugeschaltet werden sollte, stürmte er wutentbrannt aus dem Studio. Im Februar, wenn das nordirische Regionalparlament seine Arbeit aufnimmt, soll er seinen Kabinettstisch mit McGuinness und dessen Parteikollegin Bairbre de Brun teilen.

Bis dahin sind jedoch noch einige Hürden zu überwinden. Die größte ist die Ausmusterung der IRA-Waffen. „Die Abrüstung ist keine Vorbedingung für Fortschritte im Friedensprozeß, sondern eine Verpflichtung, die erfüllt werden muß, bevor die Vertreter gewalttätiger Organisationen ihre Sitze am Tisch der Demokratie einnehmen können“, sagte Trimble vorgestern während einer USA-Reise. Seinen Mitarbeitern hatte er vorgestern verboten, ihn wegen des Nobelpreises zu wecken.

Hume, der bereits zweimal zuvor für den Friedensnobelpreis nominiert worden war, sagte gestern: „Der Preis ist für alle Menschen in Nordirland, für alle Parteien und für beide Regierungen.“ Er hofft, daß der Preis allen als Ansporn diene, an der Umsetzung des Friedensabkommens zu arbeiten, so daß der Konflikt, dem in den vergangenen 30 Jahren mehr als 3.300 Menschen zum Opfer gefallen sind, eine Sache der Vergangenheit werde.

Vor 22 Jahren gab es schon einmal einen Nobelpreis für nordirische Friedensbemühungen: Betty Williams und Mairead Corrigan von der Friedensbewegung erhielten die Auszeichnung im Jahre 1976. Williams nahm das Geld und ging in die Vereinigten Staaten, Corrigan zog sich ins Privatleben zurück, die Friedensbewegung verschwand in der Versenkung, und der bewaffnete Konflikt ging weiter. Diesmal gibt es aber einen wichtigen Unterschied: Bis auf eine kleine IRA-Absplitterung haben alle bewaffneten Organisationen einen Waffenstillstand erklärt.