Volksnahe Langeweile

■ Der Hamburger SV feierte gestern seinen 111. Geburtstag

Sergej Kirjakov ist ein echter Goalgetter. Wenn er sich auf dem Eis bewegt, weiß der Zuschauer sofort: Dieser Mann übt diesen Sport schon seit frühester Jugend recht erfolgreich aus. Ganz ausgebufft geht er auf den gegnerischen Torwart zu und schiebt den Puck an ihm vorbei. Nicht umsonst ist Rußland die erfolgreichste Eishockey-Nation der Welt. Gestern traf der Stürmer des Hamburger SV bei der Feier des 111. Geburtstags des HSV in einem Spiel der Fußballprofis gegen eine Journalisten-Auswahl gleich zweimal, und auch im entscheidenden Penalty-Schießen verwandelte der 28jährige seinen Versuch ganz sicher.

Schon tags zuvor glänzte der Russe als Torschütze. Gleich dreimal traf er in der Fußball-Bundesliga beim 4:1-Sieg gegen den MSV Duisburg und erzielte seine ersten Tore für den Hamburger SV (ausführlicher Bericht auf Seite 18). Darum war er auch gestern ständig umringt von Fans und Autogrammjägern, die offensichtlich bereits vergessen hatten, wie sie den zu Beginn der Saison an den Rothenbaum gekommenen Kirjakov zuvor geschmäht hatten. Der wiederum genoß es sichtlich, endlich wieder einmal im Mittelpunkt zu stehen.

„Der HSV zum Anfassen.“ Unter diesem Motto versucht der Verein seit einiger Zeit, mehr Zuschauer ins Volksparkstadion zu locken und neue Mitglieder zu werben. Da ist jedes Jubiläum recht. Der 111. Geburtstag des Vereins läßt sich da sehr gut zur Außendarstellung nutzen. So absolvierten die Profis einen Freundschaftskick gegen die Amateure. Die einzelnen Abteilungen des Clubs bekamen die Gelegenheit, ihre Arbeit vorzustellen. Die Spieler signierten mehr oder weniger geduldig alles, was ihnen entgegengestreckt wurde.

Ob solche Veranstaltungen sinnvoll sind, ist fragwürdig, denn die Programmpunkte waren überwiegend langweilig. Den Fußballern war deutlich anzumerken, daß sie ihren freien Tag lieber zu Hause verbracht hätten. Die Nähe, die den Anhängern suggeriert werden soll, läßt sich nicht wirklich erreichen. Nur wenige der Sportler sahen in ihren Auftritten als Eishockeyspieler oder Basketballer mehr als eine kurze Pflichtübung, stellten sich den Fragen des Publikums und zeigten die von ihnen erwartete Geduld. Auf der anderen Seite gelingt es dem HSV durch solche Aktionen doch immer wieder, so etwas wie Volksnähe zu demonstrieren. Und das kommt bei den Fans und den Vermarktern gut an. Schon bei der Saisoneröffnung im August am Rothenbaum – die neuen Spieler wurden vorgestellt, umrahmt von einem Showteil – war die Marketing-Abteilung des Vereins zufrieden. Gestern war sie es bestimmt wieder. Am zufriedensten aber strahlte Sergej Kirjakov. Kein Wunder bei so vielen Toren. Eberhard Spohd