Kommentar
: Haifischbecken

■ Musical-Branche und die Macht des Marktes

Jetzt werden die Messer gewetzt im Kampf um den Kuchen der Unterhaltungsindustrie in Berlin. Nicht die Qualität einer Aufführung entscheidet über Sieg und Niederlage im Wettbewerb der Musicalmogule. Der Erfolg der Produktionen hängt viel mehr von ihren Marketingstrategien ab, und die sind dem Produzenten Wolfgang Bocksch, der „Grease“ im Dezember am Schillertheater herausbringen wollte, durch die Premiere im Theater des Westens ziemlich versalzen worden.

„Der Vorverkauf läuft“, meldet die Werbung für den „Glöckner von Notre-Dame“, mit dem das Stella-Musical-Theater am Marlene-Dietrich-Platz im Juni 1999 eröffnet werden soll. 120.000 Karten sind schon verkauft. Wie bei „Grease“, das seine Popularität einer Verfilmung mit John Travolta verdankt, setzt man auch am Potsdamer Platz auf das Recyling eines Kinohits.

Doch das Geschäft mit der Secondhand-Kultur, das sich erst bei bundesweiter Vermarktung und langen Laufzeiten auszahlt, hat in Berlin bisher kaum Fuß gefaßt. Zu der Kette der Flops gehören „Marlene“, „Shakespeare & Rock 'n' Roll“ und „Space Dream“. Die Hoffnung der Politiker, durch eine Kulturindustrie, die mit Kassenschlagern Gewinne einfährt, den Abbau von Subventionen kompensieren zu können, sind bisher nicht aufgegangen. Statt dessen haben sie der Stadt neben dem Metropol-Theater und der Freien Volksbühne ein drittes leerstehendes Haus ohne Profil, Betreiber und Konzept beschert.

Es hat eine gewisse Logik, wenn Konzerne wie debis/Daimler-Benz ihre Kulturprogramme Betreibern überlassen, die ihre Produktpalette nach den größtmöglichen Absatzchancen entwickeln.

Daß die Kulturverwaltung jedoch die gleiche Karte ausspielen will und dort, wo sie selbst nicht weiterweiß, auf die Ideen von Investoren hofft, zeugt kaum von ökonomischer Klugheit, höchstens von einer Lust am darwinistischen Experiment: Mal sehen, wie die Haie sich wegbeißen und wer übrigbleibt. Auf politischen Schutz als kleinen Wettbewerbsvorteil hat Wolfgang Bocksch wohl gehofft, weil mit jeder Pleite der Schillertheater GmbH auch die Stadt der Gelackmeierte ist: Wieder bleibt das Land auf Mietschulden hocken. Aber Bocksch hat sich geirrt: nicht weil eine Intrige gegen ihn läuft, wie er vermutet, sondern weil der Senat seine Entscheidungskompetenz schon der Macht des Marktes überlassen hat. Kartin Bettina Müller

Bericht Seite 23