■ Nebensachen auch Buenos Aires
: Improvisation ist alles

Viele halten es für ein Wunder: Buenos Aires steht noch, und das ist schon schwer zu glauben. Gegenüber von meinem Fenster hämmern und hauen zwei Bauarbeiter schon seit gut einem Jahr an einem achtstöckigen Haus herum. Aber es soll mal einer verstehen, nach welchen Plänen die bauen. Wahrscheinlich ist der Architekt nicht rechtzeitig fertiggeworden, und der Bauherr wußte landesüblich zu improvisieren und gab das Kommando zum Baubeginn. Ist ihm doch egal, ob da ein Plan fehlt. Die Frage ist nur, wer hat das gute Stück? Die beiden gemütlichen Maurer sicher nicht. Vergangene Woche mauerten sie noch liebevoll die Seitenwände zu, und zwar nur aus dem Grund, heute mit Hammer und Meißel Fenster aus der gerade erst gemauerten Wand herauszuschlagen.

So ähnlich werden hier wohl alle Häuser gebaut. Bei Freunden von mir geht immer kurz das Licht aus, wenn jemand im Haus mit dem Fahrstuhl fährt. Ist der Kabelschacht eines Hauses voll oder wurde er vergessen, werden die Leitungen einfach an der Hauswand heruntergelassen. Nach einiger Zeit verliert dann auch der Hausmeister den Überblick, und niemand weiß mehr, welches Kabel wozu in welche Wohnung führt.

Das Improvisieren macht aber auch vieles erst möglich. Es scheint kaum jemanden zu geben, der hier für seinen TV-Kabelanschluß regelmäßig bezahlt. Das ist auch richtig so: Von 76 Kanälen haben nur manche gelegentlich einen Gebrauchswert. Gegen eine kleine Gebühr — ohne Quittung natürlich — zapft ein Techniker vom Kabelfernsehanbieter in fünf Minuten das Kabel vom Nachbarn an, und schon ist das Wochenende gerettet.

Die Porteños, wie die Einwohner von Buenos Aires genannt werden, sind aufgrund ihrer Flexibilität und Phantasie vor sämtlichen Katastrophen des Lebens gefeit. Kürzlich klingelte es um sieben Uhr morgens an meiner Tür. Ich beschloß, ob der frühen Stunde nicht zu öffnen und mich lieber auf die andere Seite zu drehen. Doch der Porteño ist einfach hartnäckig ohne Ende, wenn er was will, und überzeugte mich dann doch bald der Aufforderung zum Öffnen der Tür nachzukommen. Dahinter stand der Hausmeister, der, ohne sich mit Erklärungen aufzuhalten, mit einem fremden Mann meine Wohnung stürmte und sich in der Küche vor der Spüle auf den Bauch legte. Die Nachbarn unter mir würden naß, ein Rohr müsse lecken. Leider lag das kaputte Rohr hinter den Fliesen vor dem Gasherd. Also machte sich der mir als Klempner vorgestellte fremde Herr daran, Herd und Fliesen zu beseitigen. Leider besaß er kein Werkzeug.

Mit der Frage: „Spachtel?“ schickte er mich ins Werkzeuggeschäft gegenüber, um ihm geeignetes Equipment zu erstehen — selbstverständlich auf meine Rechnung. Es folgten die Fragen „Schraubenzieher?“, „Hammer?“ und „Zange?“, die mich an diesem Tag mehrmals in den Werkzeugladen zogen. Er sägte das Rohr ab, um nebenan ein neues zu legen. Die Luft anhalten mußte ich, als der Mann meinen Herd wieder anschloß. Nachdem er Gasleitung und Herd verbunden hatte, galt es zu testen, ob auch alles dicht sei. Dazu fuhr er mit der Flamme seines Feuerzeugs an der Leitung entlang. Zum Glück war die Leitung dicht.

Als meine Nachbarn linkerhand kürzlich ihre Wohnung neu streichen ließen, stellte sich mein Klempner als Maler bei ihnen vor. Kurz darauf galt es drei Stockwerke darunter eine neue Heizung einzubauen, da kam er als Heizungsmonteur. Es sollte mich nicht wundern, wenn er beim nächsten Empfang der deutschen Botschaft plötzlich als Kellner auftaucht. Ingo Malcher