Rot-Grün frustriert AKW-Gegner

Castor-Fixiertheit der Bewegung wird als Manko gesehen. Schrumpfen der Gruppen gut oder schlecht? Vermehrte Zusammenarbeit mit dem Ausland geplant  ■ Aus Berlin Peter Nowak

„Was sollen wir bloß in Zukunft machen, wenn es unter Rot-Grün keine Castor-Transporte nach Gorleben oder Ahaus mehr gibt?“ Die junge Aktivistin stand mit ihrer Frage auf der herbstlichen Bundeskonferenz der Anti-AKW-Initiativen am Wochenende in Berlin nicht allein. Der Bonner Regierungswechsel wird allgemein als Zäsur für die Bewegung angesehen. Daß demnächst der alte Anti- AKW-Kämpfer Jürgen Trittin im Bundesumweltministerium die Oberaufsicht über die bundesdeutschen Atomanlagen übernimmt, erzeugte bei den etwa 250 Mitgliedern von Umweltverbänden, Bürgerinitiativen von AKW-Standorten und autonomen AktivistInnen eher Frust als Euphorie.

Über die Bewertung der rot- grünen Koalitionsvereinbarungen zum AKW-Ausstieg gab es wenig Dissens. Was hier geplant wird, sei nicht der Ausstieg, sondern der Einstieg in den Weiterbetrieb und die Modernisierung der Atomanlagen, so die Befürchtung der der Anti-AKW-Initiativen. Die von der neuen Koalition angekündigte Errichtung von Zwischenlagern für atomaren Müll auf den Geländen der AKWs erhöhe die Gefahr eines unbegrenzten Weiterbetriebs, weil sich die Betreiberfirmen die teuren und politisch kaum mehr durchsetzbaren Atommülltransporte sparen.

Mehr Druck durch neue Kooperationen

„Wenn auf längere Sicht keine Atomtransporte mehr stattfinden, wird die zu 90 Prozent auf den Castor-Transport fixierte Bewegung aus der Mode kommen.“ Diese Befürchtung aus einem Göttinger Diskussionspapier war auf der Konferenz ebenso häufig zu hören wie die Prognose, daß sich unter Rot-Grün der Kreis der Anti- AKW-AktivistInnen wieder auf einen harten Kern reduzierenwerde. „Die traditionelle Umweltpartei an der Regierung beteiligt zu sehen ist für viele ein ausreichender Teilerfolg, nicht mehr selbst aktiv werden zu müssen“, fürchten die Göttinger AKW- GegnerInnen.

Daraus ziehen die unterschiedlichen Bewegungsspektren allerdings verschiedene Konsequenzen. VertreterInnen von Standort- Bürgerinitiativen und Umweltverbänden sehen die Ursache des drohenden Bedeutungsverlustes in fehlender Bündnispolitik zu den Hochzeiten der Bewegung. In Zukunft wolle man daher in stärkerer Kooperation mit anderen Umweltverbänden die neue Regierung unter Druck setzen. Damit soll schon am kommenden Wochenende begonnen werden. Dann will der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) auf der Bundesdelegiertenkonferenz der Bündnisgrünen in der Bonner Beethovenhalle gegen die energiepolitischen Pläne der neuen Regierung protestieren.

Der autonome Bewegungsflügel hingegen sieht in dier Verkleinerung der Bewegung unter Rot- Grün eine Chance, sich wieder verstärkt auf die herrschaftskritischen Wurzeln der Anfangsjahre zu besinnen. Der Bremer Anti-AKW- Veteran Fritz Storim sieht für die Bewegung nur eine Zukunft, wenn sie ihren Event-Charakter um die Castor-Transporte zugunsten eines gesamtgesellschaftlichen Ansatzes aufgibt. Dafür gab die eher autonom ausgerichtete Berliner Vorbereitungsgruppe auf Foren und in Arbeitsgruppen viel Raum.

Dem drohenden Bedeutungsverlust unter Rot-Grün will ein Teil der Bewegung mit einem Blick über den heimischen Tellerrand entgehen. Verstärkt wollen die Initiativen in Zukunft mit Anti- AKW-Gruppen aus anderen westeuropäischen Ländern, besonders aus Frankreich und Großbritannien kooperieren, wo Atommüll aus deutschen AKWs zwischengelagert ist. Mit einer Uran-Kampagne soll Interesse für die Abbaubedingungen des für den AKW-Betrieb unentbehrlichen Rohstoffs gelenkt werden. In Kanada, Australien und Namibia wird die Lebensgrundlage der indigenen Bevölkerung durch den Uranabbau zerstört.