Nötig wie Schutzengel

■ Die Elb- und Weserlotsen fürchten um ihre Zukunft und fragen bang ihre Reeder: „Geht der Lotse von Bord“ und wird womöglich durch schnöde Radar-Technik ersetzt?

Sie sind in „Brüderschaften“ organisiert. Ihre Clubs gehören zu den letzten lupenreinen Männerbünden. Und mit ihren Augen – grundsätzlich so blau wie die See – schauen sie am liebsten in die Ferne: Lotsen. So unverzichtbar wie Schutzengel. Sollte man meinen. Und doch gibt es Leute, die können sich eine Welt ohne Lotsen vorstellen. Das sind die, die Lotsen bezahlen müssen: Reeder. Treffen beide aufeinander, wird die Luft dick – wie jetzt auf einer Podiumsdiskussion.

Die Hochschule für Nautik und die „Forschungs- und Kooperationsstelle Schiffahrt“ der Uni Bremen hatte dazu etwa 70 Fachleute, darunter zahlreiche Lotsen von Weser und Elbe, aber auch einschlägig tätige Beamte und Schiffseigner eingeladen. Als Leimrute hatte man den polarisierenden Titel ausgelegt: „Der Lotse geht von Bord!?“ Und diese Frage hat tatsächlich einen realen Hintergrund.

Das jahrhundertealte Gewerbe, das schon die alten Wikinger kannten, könnte – zumindest bei kleinen und mittleren Schiffen – komplett durch die lückenlose Radarüberwachung am Ufer ersetzt werden. „Undenkbar!“ schreien natürlich die Lotsen, was ihnen auch gern ein veritabler Ministerialdirigent aus dem Verkehrsministerium, Eckhard Will, bestätigte: „Die deutsche Küste braucht immer Lotsen!“ Holger Tessenow, Ältermann der Lotsenbrüderschaft Bremen, verwies auf die immer dicker werdenden Schiffe, die immer weniger Platz hätten und die immer schlechter qualifizierten Besatzungen. Große Skepsis herrscht naturgemäß unter den Lotsen gegenüber der Technik, die sie ihre Existenz kosten könnte: Was ist ein kleiner Bildschirm mit Punkten gegen einen Lotsen, der auf der Brücke neben dem Kapitän Platz nimmt?!

Angefaßt und in die Ecke gedrängt – so wirkten die Lotsen. Und auch ein bißchen altmodisch mit ihrer ständigen Beschwörung der Schiffahrt als solcher. Das Kontrastprogramm boten smarte Managertypen vom Schlage eines Detlev Mehnke (Reeder), der gern vom „lotsenbefreiten Fahren“ schwärmte. In den Augen von Lotsen, gelernten Kapitänen immerhin, muß einer wie Mehnke, der ganz locker die „Revision des deutschen Seelotsenwesens“ fordert, wie ein Lümmel erscheinen. Wenn die moderne Schiffahrt überhaupt noch Mythen kennt, dann verstecken sie sich nämlich an Bord der Lotsenboote. An Land zählt leider nur Kohle. Entschieden wird in dieser Sache vorerst nichts. Der Ministerialdirigent verwies auf die Bundestagswahl (und meinte die entsprechende Politikpause). Immerhin durfte man mit nach Hause nehmen, daß eigentlich niemand das Lotsenwesen ganz abschaffen will. Nur billiger und flexibler müßte es sein.

Und noch eins lernte der Bremer: Es gibt ein Uni-Institut, das sich als einziges dieser Art bundesweit mit Schiffahrtsgeschichte befaßt. Mit dabei ist Prof. Heide Gerstenberger, die gerade die „Veränderung der Arbeits- und Lebensbedingungen für Seeleute während der letzten Jahrzehnte“ untersucht. Frau Gerstenberger ist der Ansicht, daß „die Schiffahrt in Bremen keine Öffentlichkeit hat.“ Sie sei aber „wild entschlossen, das zu ändern!“ Zum Beispiel mit Podiumsdiskussionen wie dieser. BuS