Eugene, nicht nur Hippietown
: Gott ist mein Freund

■ Jüdisch, deutsch und auf Mission: Auch Fred Manela lebt in Eugene

Fred Manela wohnt seit über fünfzig Jahren in Eugene. Aber er ist hier nicht zu Hause. Zu Hause ist er in Berlin. Er findet Amerika fürchterlich.

Manela ist Jude. Er ist 1939 aus Deutschland geflohen. Seine Freundin, „mein Mädel“, wie er sagt, wurde auf der gemeinsamen Flucht an der belgischen Grenze erschossen. Er ging zunächst nach London, wo er für anderthalb Jahre wegen seiner deutschen Herkunft eingesperrt wurde, arbeitete dann für den britischen Geheimdienst. Seit 1947 lebt er in Eugene. Er wollte immer zurück nach Deutschland, nach Berlin. Die DDR wäre sein Land gewesen. Er war aktiver und begeisterter Sozialist, mit einer gehörigen Portion deutschem Nationalstolz. Aber die DDR wollte ihn nicht, wie er sagt. Und seine Frau Heide aus Wien wollte auch nicht nach „Preußen“. So ist er in Eugene geblieben.

1985 war er zum ersten Mal wieder in Berlin. Der Ostberliner Autor Eberhard Görner hatte von ihm gehört und beschlossen, einen Film mit Manela zu machen, über sein Leben in Berlin in den dreißiger Jahren. Der Film heißt „Schlaf nicht daheim“. „Schlaf nicht daheim“ war die Parole, die unter Juden kursierte, wenn für die Nacht Gefahr drohte. Zumindest die Widerstandsgruppe Baum, zu der Manela gehörte, benutzte diese Parole. An die Gruppe Baum erinnert heute ein Gedenkstein auf dem alten Jüdischen Friedhof Weißensee in Berlin. Die Gruppenmitglieder wurden 1941 hingerichtet. Einige davon waren Manelas Cousins. Er war zu der Zeit schon in England.

Wenn Manela heute vom Berlin der dreißiger Jahre erzählt, klingt das fast romantisch. Zumindest abenteuerlich. In der Schule hatte er als Jude keine Probleme, wie er sagt. Nur daß er keine HJ-Uniform tragen durfte. „Wir waren doch alle Kumpels.“ 1936 mußte er dann plötzlich, fünfzehnjährig, das Notabi für Juden machen. S-Bahn durfte er nicht mehr fahren. Da hat er sich mit Freunden von der „Gruppe Baum“ bunte Anstecknadeln ans Hemd geheftet und laut geredet, als seien sie ausländische Besucher. So sind sie unbehelligt „raus ins Jrüne“ gefahren, sagt Manela. Und sie haben heimlich Marx gelesen, haben bei einem Freund zu Hause „'ne Diele locker gemacht“ und auf dem Dachboden Marx gelesen. Wenn jemand kam, haben sie angefangen zu singen.

Studiert hat er an der Hochschule für jüdische Wissenschaften. Er gehörte zu den letzten Studenten Martin Bubers, bevor dieser nach Palästina auswanderte. Ihn nennt er noch heute „seinen Meister“. Als 1939 eine Aktion der Gruppe Baum aufflog, die Manela organisiert hatte, ist er geflohen. Auch seiner Mutter gelang die Flucht. Sein Vater ist 1941 in Dachau umgekommen. Ein Buch von Fred Manela über sein Leben soll demnächst bei Rowohlt Berlin erscheinen.

Seit 1985 ist Fred Manela auf „Mission“. Zweimal im Jahr fährt er nach Berlin und Brandenburg, um in Schulen, Volkshochschulen und Lehrerseminaren von seinen Erfahrungen zu berichten. Vom Leben in den dreißiger Jahren als Jude in Berlin und vom Elend, der Arbeitslosigkeit in Deutschland in der Zeit davor. Er warnt. Vor den Konsequenzen hoher Arbeitslosigkeit und neuer rechtsradikaler Gewaltbereitschaft. Als er letzten Juni in Berlin war, ist er von Neonazis am Bahnhof Zoo eine Treppe hinuntergestoßen worden und hat sich am Rücken schwer verletzt. Auch vorher schon wurde er in Brandenburger Dörfern von Rechtsradikalen bedroht. Doch Manela läßt sich nicht einschüchtern. Er hat Gottvertrauen: „Gott ist mein Freund“, sagt er. „Ick hab' mein eigenes Verjnüjen mit ihm.“

Manela hat eine Liebe zu Deutschland und Berlin, die bei einem aus Deutschland geflohenen Juden, der durch den Holocaust einen Teil seiner Familie verloren hat, recht bizarr wirkt. Er ist heute siebenundsiebzig Jahre alt, berlinert stark und ist trotz der Rückenverletzung und einer Herzattacke, von der er sich gerade erholt, quicklebendig. „Ich bin deutscher als die Deutschen“, sagt er. Und gegen das vereinte Europa wettert er: „Der deutsche Arbeiter kann dabei nur verlieren.“ Man müsse den Deutschen endlich „die Last des Holocaust von den Schultern nehmen“. Die heute Lebenden könnten doch offensichtlich nichts dafür. Nur erinnern müsse man sich. Doch das Berliner Mahnmal für die ermordeten Juden will er nicht: „Das Geld sollen sie lieber Schulen geben, damit die Kinder mehr über diese Zeit erfahren können.“

Fred Manela bekommt kein Geld für seine Zeitzeugenfahrten durch Berlin und Brandenburg. Und trotz Rückenleiden und Herzattacke und hohem Alter wird er im nächsten Jahr wiederkommen. Es ist seine Mission: „Und wenn ich in einer Büchse nach Hause komme, dann ist es eben aus. Aber ich muß das machen. Das bin ich meinem Vater schuldig.“ Blue Moon Thunder