„Es besteht noch ein hoher Einigungsbedarf“

■ Christine Scheel, die Steuerexpertin der Bündnisgrünen, setzt darauf, daß die geplante Steuerreform eine Belebung der Konjunktur bewirkt. Wirtschaftsinstitute sehen die Entwicklung deutlich skeptischer

taz: Die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen wurden von einer Gruppe von Experten permanent auf ihre Finanzierbarkeit hin überprüft. Ist das Saldo plus minus Null?

Christine Scheel: Bei der Einkommenssteuerreform haben wir in den Jahren 1999 und 2000 eine ausgeglichene Bilanz. Erst im Jahre 2002 werden wir zu einer Nettoentlastung von 10 Milliarden Mark kommen.

Welche Ausgaben werden dafür gestrichen?

Das braucht man so nicht zu rechnen. Wenn man ein Steuerreformkonzept auf den Weg bringt, das zu mehr Investitionen und mehr Arbeitsplätzen führt, das zu Entlastungen im unteren und mittleren Bereich der Einkommen führt, kann man mit mehr Kaufkraft und mit einer Belebung der Konjunktur rechnen.

Die Erwartung einer nachfrageinduzierten Konjunkturbelebung ist durch die aktuellen Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute nicht gedeckt.

Die ist im Moment nicht gedeckt, aber wir wollen ja eine bessere Politik machen. Dafür haben wir eine Reihe von Projekten auf den Weg gebracht, die entsprechende Auswirkungen haben müßten.

Wie hoch müßte die Steigerung des Bruttoinlandsproduktes sein, um eine Mehreinnahme von 10 Milliarden Mark zu realisieren?

Der Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen ist mittlerweile entkoppelt. Das läuft aufgrund von strukturellen Verwerfungen, Rationalisierungen und Produktionsverlagerungen ins Ausland nicht mehr parallel. Deshalb müssen wir die Entwicklung von Jahr zu Jahr neu bewerten.

Die 10 Milliarden Mark müßten folglich mit einem Fragezeichen versehen werden?

Wir können genauso eine Nettoentlastung von 15 Milliarden wie von 7 Milliarden Mark bekommen.

SPD und Grüne wollen die Lohnnebenkosten um 2.4 Prozent reduzieren, macht über 30 Milliarden Mark. Die Gegenfinanzierung durch die Erhöhung der Energiesteuern ist nur für 0,8 Prozent festgeschrieben. Schließen Sie aus, daß zur Finanzierung der restlichen 24 Milliarden die Mehrwertsteuer erhöht wird?

In diesem Zusammenhang ist die Erhöhung der Mehrwertsteuer ausgeschlossen. Wir haben vereinbart, daß die erste Stufe der Senkung um 0,8 Prozent über Energiesteuern finanziert werden. Bei den Stufen zwei und drei wollen wir uns im internationalen Rahmen bewegen. Fest steht, daß die jeweils 12 bis 13 Milliarden dann auch national da sein müssen und daß sie ausschließlich über eine Besteuerung der Energie aufgebracht werden.

Ist das Konsens zwischen den Koalitionspartnern?

Das ist während der Verhandlungen Konsens gewesen. Man muß allerdings überlegen, inwieweit man es schafft, durch die Reform des Sozialversicherungssystems einen Anstieg der Beiträge zu vermeiden. Das ist die Voraussetzung dafür, daß die Reduzierung der Sozialversicherungsbeiträge über die Ökosteuer spürbar wird.

Nun wird ein Koalitionsvertrag ja für eine ganze Legislaturperiode geschlossen. Warum haben die Partner nur die Entlastung, aber nicht die Belastung für den gesamten Zeitraum festgeschrieben?

Das kann ich Ihnen genau sagen. Weder die SPD noch die Grünen hatten Lust auf Schlagzeilen, in denen der Benzinpreis im Jahr 2002 das Ergebnis der Verhandlungen prägt.

Es wäre aber ehrlicher gewesen.

Nicht unbedingt. Es wäre nicht sinnvoll, jetzt zu sagen, wie der Benzinpreis im Jahr 2002 ist, ohne zu wissen wie sich die Rahmenbedingungen, zum Beispiel die Rohölpreise, entwickeln.

Bei der versprochenen Senkung der Lohnnebenkosten muß auch die Rücknahme der Rentenreform berücksichtigt werden. Die macht im Jahr 1999 eine Summe von 900 Millionen Mark aus. Die zukünftige Arbeitssenatorin Bergmann von der SPD sagte gestern, daß man sich freuen könnte, wenn sich das Niveau der Lohnnebenkosten halten ließe. Lafontaine hat drei Tage zuvor die Senkung um 0,8 Prozent versprochen. Wessen Wort gilt denn?

Nach der Blümschen Reform hätte die Rente um ein Prozent gesenkt werden können. Das heißt, das Niveau bleibt jetzt stabil, in der Summe kann es aber um die Prozentsätze gesenkt werden, die durch die Energiesteuern gegenfinanziert werden.

Das klingt nach Taschenspielertrick. Denn die Reform war im Haushalt 99 bereits einkalkuliert. Nimmt man sie wieder raus, muß man sagen, wie die Deckungslücke von 900 Millionen aufgebracht werden soll.

Natürlich sind die zu berücksichtigen.

Wenn die Koalitionspartner wie vereinbart in dieser Legislaturperiode die Rentenstrukturreform angehen, ist mit Mehrbelastungen zu rechnen. Warum steht das nicht im Koalitionsvertrag?

Wir schreiben in einen Koalitionsvertrag die Ziele hinein. Es ist klar, daß wir eine Rentenreform wollen. Wir befinden uns aber noch nicht im Gesetzgebungsverfahren.

Dabei entsteht der Eindruck, es wird vielen gegeben, aber nur wenigen genommen.

Es besteht noch ein hoher Einigungsbedarf. Interview: Dieter Rulff