Stille Tage und ein zäher Abschied

In den Bonner Ministerien stimmen sich die Handlanger der alten Regierung auf die neue Zeit ein. Für Wehmut bleibt nur wenig Raum, für ein bißchen Neid, eine Prise Opportunismus und viele Spekulationen um so mehr  ■ Aus Bonn Constanze v. Bullion

Es gibt diverse Methoden, mit der Niederlage fertig zu werden. Die Treuen danken ab. Die Trotzigen machen einfach weiter. Die Optimisten reden sich den Karriereknick schön. Und die Cleveren hängen ihr Fähnchen nach dem Wind. Wer schlau ist im Bonner „Apparat“, hat sich ohnehin längst abgeseilt.

„Rette sich, wer kann“ ist die unausgesprochene Parole, die durch die Bonner Ministerien geistert. 148 politische Beamte, rund 50 Pressesprecher und ein kleines Heer von Büroleitern zittert dem rot-grünen Personalwechsel entgegen. Nur wenige wissen schon, wer bleibt und wer gegangen wird – oder auf einer Stelle landet, die niemand mehr braucht: Je länger das Interregnum dauert, desto quälender wird es für die zweite Garnitur in den Schreibstuben.

Beunruhigend still ist es im Büro von Ludger Reuber. Bonns dienstältester Pressesprecher hat 16 Jahre für Norbert Blüm gearbeitet. Er wird mit der alten Regierung abtreten. Vor seinem Bürostuhl läßt er sie noch mal Revue passieren: Kohl, Kinkel, Kanther ein letztes Mal auf der Regierungsbank – im Wasserwerk trifft sich der abgewählte Bundestag, um über den Kosovo-Einsatz abzustimmen, Pressesprecher Reuber verfolgt den Auftritt vor dem Fernseher. Was soll er auch sonst machen?

Der Schreibtisch blank, die Akten abgearbeitet, wer in diesem Büro noch einen Anruf bekommt, wird von den Kollegen beneidet. Über 100 Telefonate pro Tag mußte die Presseabteilung des Ministeriums früher bewältigen. Inzwischen ist auch in Sachen Abschied alles erledigt. Auf dem Flur stapeln sich blaue Müllsäcke, in denen hat Reuber sein Arbeitsleben beerdigt. „Ein paar Aktenordner“, sagt er leichthin, „da ist natürlich immer so'n bißchen Herzblut dabei, wenn man die Schränke ausräumt.“

Daß es um mehr als „so'n bißchen Herzblut“ geht, gesteht sich der 61jährige nicht sonderlich gern ein. Ein Treuer sitzt hier, ein Weggefährte von Norbert Blüm, der aus der katholischen Gewerkschaftsbewegung stammt wie der Minister. Im Allerheiligsten, an der Pinnwand, klebt neben einer Ikone ein Foto, auf dem Blüm mit seinem Presseknecht den Berg Athos hinunterklettert. Tage verbrachten die beiden bei Exerzitien in dem griechischen Kloster, eine „ganz großartige Erfahrung“, schwärmt Reuber. Und läßt seinen Blick schnell aus dem Fenster flüchten.

Bloß nicht weinerlich werden. Bloß nicht vergessen, wie hoch der Preis für die Karriere war: „Das ist wie ein Kettenkarussell“, meint Reuber, „da kann man nicht nur mit einem Bein draufgehen.“ Ausgesprochen anspruchsvoll sei sein Meister immer gewesen, „da mußte absoluter Schulterschluß sein“. Dabei hätte der PR- Chef seinen Mandanten manchmal gern seriöser verkauft, als es dessen Showtalent zuließ. Während Blüm vor laufenden Kameras auf Kamele kletterte, sorgte sich Reuber ums Image und um die Rentenreform. Bis es für den Ausstieg zu spät und er selbst reif für die Pension war.

Zwei Jahre muß Reuber noch Dienst schieben. „Ich habe manchmal bedauert, daß die Strecke so lang wurde“, sagt er heute. Vier Kinder hat seine Frau inzwischen großgezogen, da sei „vieles zu kurz gekommen“. Man wird ihn – bei gleichem Gehalt – in ein Fachreferat versetzen, „mal 'ne Projektgruppe anleiern oder so“. Was der neue Arbeitsminister mit den rund 20 gefährdeten Mitarbeitern des Hauses anstellt, ist ungewiß.

Wie viele eigene Gefolgsleute der neue Minister oder die Ministerin mitbringt, hängt nicht zuletzt von den Finanzen ab. Regierungswechsel sind teuer, vor allem was die Entsorgung der Ehemaligen angeht. Politische Beamte werden bei vollen Bezügen in den Ruhestand versetzt, Angestellte haben Anspruch auf eine äquivalente Tätigkeit im Haus. Für Abfindungen, Übergangsgelder und sonstige Trösterchen müssen die Bürger an die 200 Millionen Mark hinlegen, beschwerte sich kürzlich der Bund der Steuerzahler.

Wo Bürostühle kippen und Karrieren ins Trudeln geraten, sieht man die Sache berufsbedingt gelassen: Allzu viele Stellen könnten sich die Neuen ohnehin nicht genehmigen. „Die Älteren werden versorgt, die Jüngeren suchen sich einen neuen Job“, meint Heike Helfer, Referentin im Arbeitsministerium. Stapel von Zeitungen hat sie auf ihrem Schreibtisch, seit das Telefon schweigt, liest sie „intensiver als sonst“. Und beobachtet, wie der Wechsel durch die Eingeweide des Ministeriums kriecht. „Die einen warten ab, trinken viel Kaffee und sehnen den Tag herbei, an dem alles vorbei ist“, erzählt sie. „Die anderen sitzen seit 16 Jahren auf ihrem SPD-Parteibuch und wittern Morgenluft.“

Das Parteibuch. Dieses verdammte Bekenntnis zu den Regierenden von gestern, das jetzt wie Kleister an den Fingern pappt. Je ergebener die Fahrensleute der alten Koalition sich ihren Herren angedient haben, desto schlechter stehen jetzt ihre Chancen. Anders als die Treuen, die sich ihre Tätigkeit unter Rot-Grün nicht vorstellen können, tun die Trotzigen, als sei nichts geschehen.

„Business as usual“, bellt Detlef Dauke ins Telefon, wenn man ihn nach den letzten Wochen fragt. Zu Otto Schily will sich der Sprecher von Manfred Kanther „der Meinung enthalten“, schließlich sei er „ein loyaler Beamter“. Der Mann rechnet sich offenbar Chancen aus, unterkriechen zu können. – „Es kommt doch mehr auf Qualifikation an als auf Parteizugehörigkeit“, mault – auch er ein Trotziger – Gunthart Gerke, seit 100 Tagen Chef vom Dienst und oberster Journalistenbetreuer im Kanzleramt. Gerke ist gewappnet. Er habe „durchaus die Bereitschaft weiterzumachen“, falls in der neuen Regierung „der Sachverstand noch gebraucht wird“.

Da sitzen sie nun und bieten Sachverstand aus wie sauer Bier. Alles studierte oder promovierte Leute, erfolgsverwöhnt und als Handlanger von Union oder FDP seit Jahren auf der Siegerstraße. „Man soll sich nicht für unentbehrlich halten“, sagt Herr Gerke noch, und es klingt, als habe er um die Erkenntnis mühsam ringen müssen. Der Mann war Sprecher des Regierungssprechers, Sprachrohr vom Sprachrohr des Kanzlers. Und hätte offenbar kein Problem, ab sofort die Sprechblasen der Konkurrenz zu verkaufen.

Dabei ist Herr Gerke nicht unsympathisch, und auch Annette Sach ist nett, die zum Troß von Bundestagspräsidentin Süssmuth gehört. Ein Jahr lang gab sie Auskunft über die Arbeit der Präsidentin, da müsse man „schon dahinterstehen“. Armut, Aids und Frauen zum Beispiel, „alles weiche Themen“, sagt sie laut. Alles Themen, die auch Süssmuth- Nachfolger Wolfgang Thierse gebrauchen kann, denkt sie leise. „Wertkonservativ“ seien schließlich nicht nur Parteigänger der CDU, sondern auch manche Genossen oder Grüne.

Irgendwie eigenartig. Der Sprecher von Manfred Kanther hätte offenbar nichts dagegen, einem ehemaligen RAF-Verteidiger zuzuarbeiten. Die Referentin der Vorzeigechristdemokratin Rita Süssmuth bekennt sich zu grünen Werten. Bernhard Böhm, bis zum Wechsel Sprecher von Justizminister Schmidt-Jortzig, war schon immer gegen den Lauschangriff und geschlossene Heime für Jugendliche. „Man muß sich den Gegebenheiten fügen“, faßt Kristin Strupp- Hundenborn, Nochsprecherin des Landwirtschaftsministeriums, die Misere zusammen.

Oder saß an Behördentischen und Regierungstelefonen womöglich ein heimliches Heer von Aufsässigen, die stille Reserve von Fischer und Schröder? Vielleicht verstellen sich diese Schreibtischtäter gar nicht, vielleicht geht ein tiefer Stoßseufzer durch ihre angestaubten Vorzimmer. Unter den Handlangern der verblichenen Regierung gibt es etliche, die aus der Not eine Tugend gemacht haben. Und Geschmack am ungewohnten Chaos in ihrem Leben finden.

Annelies Ilona Klug ist eine von ihnen. Seit sechs Jahren gebietet sie über einen breiten Schreibtisch und fünfeinhalb Mitarbeiter, die sie in mütterlich-robuster Art bis zu elf Stunden täglich durchs Gesundheitsministeriums scheucht. Zu Frau Klug drang man bisher nur durch, wenn man mindestens eine Vorzimmerdame und eine Referentin beschwatzt hattte. Heute hat die Pressechefin als erste Zugriff auf jede verbliebene Anfrage. „Gestern hatten wir mit der Gentechnik noch ganz gut zu tun“, erzählt sie. Die Schweinepest, gottlob, sorgte heute morgen noch für ein Stündchen Arbeit.

Totenstill war es hier unmittelbar nach der Wahl. Eine Woche habe die „erste Schockwelle“ gedauert. Niemand wußte, ob das Ministerium aufgelöst wird, inzwischen ist klar, daß die Bündnisgrüne Andrea Fischer hier einzieht. Die werde sich idealistische Flausen schnell abgewöhnen, heißt es. Ob Grenzwerte bei Babynahrung oder BSE-Bestimmungen: „Auf EU-Ebene konnten wir viele Vorstellungen nicht durchsetzten“, weiß Annelies Klug, „da können auch die Grünen nicht viel machen.“

Daß sie den Streit um die Gentechnik nicht mehr miterleben muß, ist eine der guten Seiten, die Frau Klug dem Wechsel abgewonnen hat. Demnächst wird sie versetzt, „in ein Referat, wo ich nicht schaden kann“. Was bleibt, ist schönzureden, was unausweichlich ist. Der Karriereknick sei ein „ganz vernünftiger Anlaß“, um wieder ins Leben draußen zurückzufinden. Schluß mit nächtlichen Beratungen, keine Wochenenddienste mehr. „Lieber mal wieder eine Oper von innen sehen. Oder abends schwimmen gehen im Kölner Thermalbad.“ Das, meint die 55jährige, „ist doch auch nicht schlecht“.

Sie sind bescheiden geworden, die Staatsdiener von gestern. Manche schielen nicht ohne Neid auf die Kollegen, die lange vor der Wahl ihren Abflug vorbereitet haben. Rolf Kiefer, der altgediente CDU-Sprecher zum Beispiel. Wenige Tage nach dem Wechsel verabschiedete er sich auf seinen neuen Arbeitsplatz: ausgerechnet zu dem niedersächsischen Unternehmen, das im Wahlkampf großflächige Anzeigen für Schröder geschaltet hatte. Dem Überläufer mögen manche Kollegen deftige Flüche nachschicken. Und sich heimlich wünschen, sie hätten selbst früher das Pferd gewechselt.