Eine zutiefst gespaltene Gesellschaft

■ Gestern wurden in Süfafrika die Ergebnisse der Volkszählung bekannt. Die schwarze Mehrheit ist noch überall benachteiligt

Pretoria (taz) – Nun ist es amtlich: Südafrikas Bevölkerung ist mit 40,58 Millionen Menschen etwa so groß, wie immer vermutet wurde. Das ist das wohl wichtigste Ergebnis der ersten umfassenden Volkszählung, das gestern in Pretoria vom Statistischen Zentralamt vorgestellt wurde. Vor zwei Jahren hatte es rund 100.000 Zähler durchs Land geschickt, um alle in Südafrika lebenden Personen zu erfassen. In der Geschichte des Landes ist das etwas Neues. Zwar hatten auch schon die Apartheidregierungen das Volk zählen lassen, allerdings nur das weißer Hautfarbe. Der Rest wurde geschätzt oder gar nicht gezählt, wenn er in den Homelands lebte.

Als die erste schwarze Regierung unter Nelson Mandela vor gut vier Jahren die Geschäfte übernahm, stand sie deshalb vor einer schwierigen Aufgabe: Zwar hatte der Afrikanische Nationalkongreß (ANC) der schwarzen Mehrheit versprochen, bessere Lebensverhältnisse zu schaffen. Doch wie groß diese Mehrheit ist und wie sie lebt, war im Detail unbekannt.

Mandela persönlich sowie sein Finanzminister Trevor Manuel nahmen gestern an der Vorstellung der neuen Zahlen teil und schätzten deren Wert hoch ein. „Das ist die Grundlage für alle unsere künftigen Planungen“, sagte Manuel. Mandela sah darin eine Bestätigung für die enormen Erblasten der Apartheid. „Wiederaufbau, Versöhnung und Entwicklung bleiben für viele Jahre unsere wichtigsten Aufgaben.“

Das Bild, das sich aus dem Zahlenwerk ergibt, spiegelt eine Gesellschaft wieder, die immer noch zutiefst nach Hautfarben gespalten ist und in der krasse ökonomische Ungleichheiten herrschen. Mehr als drei Viertel aller Südafrikaner (76,6 Prozent) sind schwarzer Hautfarbe, aber fast die Hälfte ist arbeitslos. Demgegenüber beträgt die weiße Minderheit 10,6 Prozent der Gesamtbevölkerung, fast nur 4,6 Prozent von ihnen haben keine Arbeit. Die übrigen Südafrikaner sind sogenannte Mischlinge (8,9 Prozent) oder indischer Abstammung (2,6 Prozent). Insgesamt ist noch immer jeder dritte Südafrikaner arbeitslos (33,9 Prozent).

Auch bei den Einkommen und beim Bildungsstand gibt es gravierende Ungleichheiten. Von allen ökonomisch Aktiven verdient ein Viertel mehr als 2.500 Rand (700 Mark) im Monat. Ein Drittel aller weißen Frauen und zwei Drittel aller weißen Männer beziehen ein Gehalt von mehr als 3.500 Rand (980 Mark). Bei den Schwarzen ist nur jeder 20. in dieser Lage. Sie sind am anderen Ende der Einkommensskala überdurchschnittlich vertreten mit Löhnen von weniger als 500 Rand (140 Mark). Eine weitere Erblast der Apartheid zeigt die Schulbildung: Nur drei Prozent aller Schwarzen über 20 haben eine höhere Schulbildung, aber 24 Prozent der Weißen. 19 Prozent aller Südafrikaner über 20 waren nie in der Schule.

Die Mehrzahl aller Südafrikaner lebt auch noch immer in ärmlichen Verhältnissen. Trotz enormer Anstrengungen der Regierung hat mehr als die Hälfte noch kein fließend Wasser und ein Drittel kein elektrisches Licht. Fast 20 Prozent leben in Slums und wären nach europäischen Maßstäben obdachlos.

Ganz neu sind die Zahlen allerdings nicht mehr: Der Stichtag ist der 10. Oktober 1996. Der ursprüngliche Termin, an dem die Ergebnisse veröffentlicht werden sollten, war bereits vor einem Jahr. Er verzögerte sich deshalb so lange, weil es vor allem auf dem Land zu Unregelmäßigkeiten bei der Erhebung gekommen war. Kordula Doerfler