Im Blätterwald der Prognosen

Herbstgutachten der sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute: Konjunktur schwächt sich ein wenig ab. Die Löhne sollten daher niedrig bleiben und endlich eine umfassende Steuerreform kommen  ■ Von Ulrike Fokken

Wenn man vorhersagt, sollte man regelmäßig vorhersagen“, hat der US-Wirtschaftsprofessor Rudi Dornbusch einmal gesagt. Regelmäßig, nämlich im Frühjahr und im Herbst, setzen sich auch die Konjunkturexperten von sechs deutschen Wirtschaftsforschungsinstituten zusammen und einigen sich auf eine Prognose über die Weltwirtschaft und die deutsche Wirtschaft. Die Lage im fernöstlichen Thailand oder im weten Rußland können die Wirtschaftsforscher zwischen München und Berlin nur vage beurteilen.

Und so ist auch ihre Prognose über die Weltwirtschaft und deren Auswirkungen auf Europa: Erst wird es noch ein bißchen schlechter, dann wieder ein bißchen besser.

Konkreter werden die Forscher, wenn es um die deutsche Wirtschaft und die Politik geht. Da die Löhne niedrig sind, die Steigerungen moderat und die Arbeitslosigkeit leicht rückläufig, „spricht vieles dafür, daß die Konjunktur in Deutschland aufwärtsgerichtet bleiben wird.“ Um diesen Trend fortzusetzen und um mehr Arbeitsplätze zu schaffen, „halten die Institute eine Fortsetzung der Lohnzurückhaltung für unabdingbar“. Solange die Arbeitslosigkeit derart hoch ist, sollte die höhere Produktivität nicht mit höheren Löhnen vergolten werden.

Üblicherweise sprechen die Wirtschaftsinstitute mit einer Stimme. Doch das arbeitnehmerfreundliche Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wollte sich wie schon im Frühjahr den Kollegen nicht anschließen. Das Institut, das sich als Verfechter des „wahren Keynes“ sieht, fordert vielmehr, die Löhne deutlich zu steigern und so die Binnenkonjunktur anzukurbeln. Auch wünschen die Konjunkturforscher des DIW einen „deutlichen Zinsschritt“ der Bundesbank nach unten. Beide Forderungen entsprechen den Vorstellungen des künftigen Finanzminsters Oskar Lafontaine. Er holte einen seiner Staatssekretäre aus dem DIW: den Konjunkturexperten Heiner Flassbeck. Auch wenn die Institute die geplante Steuerreform nicht in ihr Gutachten aufgenommen haben, kritisieren sie doch die bislang veröffentlichten Versatzstücke als „unzureichend“. Sie plädieren für einen großen Wurf, der Solidaritätszuschlag und Subventionen hinwegfegt. Die Steuern auf Einkommen und Unternehmen sollten deutlich gesenkt werden, zunächst soll sogar auf eine Gegenfinanzierung verzichtet werden. Nur mehr Geld für Arbeitnehmer und -geber führe zu mehr Investitionen. Das sieht der Deutsche Industrie- und Handelstag genauso und lobte das Herbstgutachten. Der Deutsche Gewerkschaftsbund wies die Empfehlungen des Gutachtens als „falsch“ zurück und schloß sich dem DIW an.