Koch und Kellner gehen Hand in Hand

■ Ein Abkommen mit weitreichenden Folgen: In der gestern unterzeichneten Koalitionsvereinbarung werden Reformprojekte auf den Weg gebracht. Manche Chance ist aber auch schon vertan. Die anstehenden Kontroversen sind vor allem im Bereich der Haushaltspolitik abzusehen.

Schon vor Monaten beschied Gerhard Schröder Joschka Fischer, es müsse in der Koalition klar sein, wer Koch und wer Kellner sei. Die Frage ist noch immer nicht entschieden, aber mittlerweile weiß man immerhin, wer um die Rollen streitet. Oskar Lafontaine paßt nicht unbedingt, was Gerhard Schröder so anrichtet. Das ein oder andere Mal, wie jüngst im Fall Stollmann, hat er ihm gar die Suppe versalzen.

Die Bündnisgrünen schwanken angesichts des Gebarens des Koalitionspartners zwischen Verärgerung und Amüsement. Verärgert sind sie wegen des Eindrucks der Zerstrittenheit, den die Koalition mittlerweile erweckt, amüsiert, weil er sie an eigene Gepflogenheiten erinnert. Die scheinen mittlerweile der Vergangenheit anzugehören.

Bei den Bündnisgrünen herrscht Konsenskultur, die mächtigen Strömungen wurden bis zur Regierungsfähigkeit kanalisiert. Am augenfälligsten dokumentiert die neue Harmonie die Besetzung des Auswärtigen Amtes. Dort werden demnächst die bisherigen Antipoden grüner Außen- und Sicherheitspolitik, Joschka Fischer und Ludger Volmer, in friedlicher Eintracht die Geschicke lenken.

Mit einer solchermaßen veränderten Schlachtordnung tritt die Koalition zu „Aufbruch und Erneuerung“ an, sie will „Deutschlands Weg ins 21. Jahrhundert“ beschreiten. Es ist das Jahrhundert, welches eigentlich dem sozialdemokratischen folgen sollte. So hatte es Ralf Dahrendorf bereits in den achtziger Jahren prognostiziert. Und nun steht eben diese totgesagte Sozialdemokratie in ungeahnter Stärke in der Regierung, ja sie beherrscht bis auf zwei Ausnahmen die Staaten der Europäischen Union. Das bietet ihr optimale Handlungsbedingungen, das wird allerdings auch zu Verwerfungen führen, vor allem in der Sozialdemokratie selbst. Man muß sich nur die unterschiedlichen Raten der Mehrwertsteuer, die jeweiligen Vorstellungen zur Beschäftigungspolitik oder die Fortschritte der Ökosteuer im europäischen Rahmen anschauen, um zu ermessen, wie groß der Bedarf an Vereinigung und Vereinfachung auch unter den europäischen Sozialdemokraten noch ist.

Die SPD hat die Wahlen in der gesellschaftlichen Mitte gewonnen, sie hat aber noch nicht diese Mitte für sich eingenommen, wie es Tony Blairs Labour Party in den letzten beiden Jahren geschafft hat. Sie ist nicht mehr die alte, aber auch noch keine neue. Der Koalitionsvertrag atmet denn auch in manch verschwiemelten Passagen dieses Sowohl-Als-auch, wo klare Orientierung gefragt wäre. Diese läßt er vermissen, wo die gesellschaftlichen Konflikte zwischen Jung und Alt, Arbeitenden und Arbeitslosen, Arbeitenden und Unternehmern thematisiert werden. Er orientiert wiederum, wo die Nachhaltigkeit des Wirtschaftens mit der Ölkosteuer und dem Atomausstieg vorgegeben wird, und wo er das gesellschaftliche Zusammenleben durch ein verändertes Staatsbürgerrecht neu ordnet. Letzteres verbuchen, wer hätte es vor der Wahl erwartet, die Grünen als Anfangserfolg, über ersteres wird vor allem die SPD noch Auseinandersetzungen führen müssen. Deutlich wird dies in den Vorschlägen zur Reform des Rentensystems, auf dem Gebiet der Arbeitsmarktpolitik wie auch in der Wirtschaftspolitik. Die „große Rentenreform“, die SPD und Grüne vereinbart haben, orientiert sich an den vier Säulen der gesetzlichen Rentenversicherung, der betrieblichen und privaten Altersvorsorge und der Beteiligung am Produktivkapital. Kein Wort darüber, wo eine tragfähige Substanz der Säulen denn herkommt. Statt dessen wird auf breiter Front verteilt, was Norbert Blüm auf genauso breiter Front einbehalten wollte, weil ihm das Geld ausging, über das auch die neue Regierung eigentlich nicht verfügt. Die Chance, gezielt zu fördern, wo es sozial notwendig ist, und nicht mehr zu geben, wo es nicht erforderlich ist, wurde vorerst vertan.

Bereits vor Monaten hat eine Expertenrunde der nicht gerade unternehmerfreundlichen Friedrich-Ebert-Stiftung die Beschäftigungspotentiale des Arbeitsmarktes durchleuchtet. Sie machte in der großen Gruppe der gering Qualifizierten diejenigen aus, die vor allem von Arbeitslosigkeit bedroht sind, und schlug eine Absenkung der unteren Lohngruppen bei gleichzeitiger staatlicher Förderung dieser geringen Beschäftigungsverhältnisse vor. Die Verzahnung sozialer Leistung mit arbeitsfördernden Instrumentarien in Form einer Negativsteuer oder zumindest des Kombilohnes böte die Möglichkeit, der Maxime „Arbeit statt Arbeitslosigkeit“, die auch im Koalitionsvertrag festgehalten ist, umfassend Rechnung zu tragen. So weit hat sich die Koalition allerdings nicht vorgewagt. Wie die Vorgängerregierung arbeitet sie mit der Vorgabe: „Die Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt hat Vorrang.“ Dafür will sie „soviel Mittel wie möglich von passiver in aktiver Leistung“, ohne zu präzisieren, welche passiven Leistungen dafür gekürzt oder gestrichen werden. Die neue Bundesregierung will in der Wirtschaftspolitik weg von der einseitigen Angebotsorientierung ihrer Vorgänger. Darin sind sich Schröder und Lafontaine einig. Die künftige Regierung will die Elemente der Nachfrage stärken und schreibt sich zugleich die Rückgewinnung der finanziellen Handlungsfähigkeit des Staates auf die Fahnen. Schröder hat, wohl erschreckt durch die erste Resonanz auf die große Steuerreform, bereits angekündigt, daß er sie gerne zugunsten des Mittelstandes nachbessern würde.

Ohne Zweifel steht der neue Finanzminister für eine Strategie, welche die zeitweise Vernachlässigung der Haushaltskonsolidierung zugunsten der Nachfrageförderung in Kauf nimmt. Mit ungewissen Resultaten. Denn auch die neue Regierung wird die disparaten Entwicklungen von Wirtschaftswachstum, Beschäftigungsziffer und Staatseinnahmen wieder in die kalkulierbare Wechselwirkung früherer Jahre bringen.

An dieser Stelle zeichnen sich bereits die ersten Kontroversen ab, wenn der Haushalt 1999 verabschiedet werden soll. Es sind vor allem die Haushaltspolitiker der Grünen, die frühzeitig gegen eine Neuverschuldung Front gemacht haben, die die Marge der Investitionen übersteigt. Während sie von einem „fatalen Signal“ sprechen, scheint der Finanzminister eher bereit, eine höhere Verschuldung in Kauf zu nehmen und dies durch die Feststellung einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu rechtfertigen.

Die Kontroverse um die Orientierung der Wirtschaftspolitik wird sich auch an den Regelungen auftun, mit denen die globalisierte Wirtschaft zu ordnen ist. Schröder hat Lafontaines Ministerium mit der Kompetenz für dieses neue Feld der Politik ausgestattet. Er soll die Funktion eines Schatzkanzlers wahrnehmen, eine Ausweitung nach britischem Vorbild. Allerdings, so schränkt Schröder weitsichtig ein, einen Schatz gebe es eh nicht zu verteilen, und Kanzler, das sei er. Das muß er jetzt nur noch Oskar Lafontaine klarmachen. Dieter Rulff, Bonn