Rot-Grün jetzt voll geschäftsfähig

■ Sozialdemokraten und Bündnisgrüne unterzeichnen gemeinsamen Koalitionsvertrag. Gerhard Schröder und Joschka Fischer erklären Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zur dringendsten Aufgabe und geloben Koalitionstreue

Bonn (taz) – Sechzehn Jahre nach dem Ende der letzten SPD-Regierung unter Helmut Schmidt und eineinhalb Jahrzehnte nachdem die Grünen zum ersten Mal eine Koalition mit der SPD ins Auge faßten, ist das rot-grüne Bündnis perfekt. Die Spitzen beider Parteien unterschrieben gestern in Bonn einen 50seitigen Koalitionsvertrag. Am kommenden Wochenende werden SPD und Grüne auf Parteitagen über das Werk abstimmen, Anfang der kommenden Woche soll das neue Kabinett vereidigt werden.

An der Zustimmung ihrer Parteien ließen Gerhard Schröder und Joschka Fischer keinen Zweifel. Fischer geht davon aus, daß Gerhard Schröder mit beeindruckender Mehrheit zum Kanzler gewählt wird. Schröder lobte den „Geist der Partnerschaft und Fairness“ in den Koalitionsverhandlungen, Fischer sah im Ergebnis „eine verläßliche Grundlage für eine erfolgreiche Regierungsarbeit“.

Als zentrale Aufgabe der neuen Regierung benannten beide die Arbeitsmarktpolitik. Das Bündnis für Arbeit und der Aufbau Ost, so Schröder, seien die Felder denen er sich ganz persönlich widmen werde. Eine positive Trendwende am Arbeitsmarkt, betonte Fischer, sei die Meßlatte für die Koalition. Schröder nannte als weitere Vorgaben die „Rückgewinnung der finanziellen Handlungsfähigkeit des Staates“ sowie die Bewahrung der Sozialstaatlichkeit. Er kündigte an, daß es bei der Realisierung der Steuerreform noch an der ein oder anderen Stelle Veränderungen geben werde. Man müsse prüfen, ob es für kleinere und mittlere Betriebe früher eine Entlastung gebe. Fischer verwahrte sich gegen den Vorwurf, daß in den Koalitionsvertrag keine Frist für den Atomausstieg festgeschrieben worden sei.

Die neue Regierung hat im wesentlichen den gleichen Zuschnitt der Ressorts wie die alte. Bau- und das Verkehrsministerium wurden zusammengelegt. An weitere Änderungen ist nach Schröders Worten nicht gedacht. Unklar blieb gestern, ob die Zahl der Staatssekretäre reduziert wird. Der Kulturbereich wird Klaus Naumann unterstellt. Zum neuen SPD-Fraktionschef wurde gestern erwartungsgemäß Peter Struck gewählt. Die Fraktion nominierte außerdem mit 171 zu 116 Stimmen Wolfgang Thierse zum Bundestagspräsidentin.

Der Vorsitzende der CDU/CSU Bundestagsfraktion Wolfgang Schäuble erklärte, die rot-grüne Koalitionsvereinbarung sei eine Enttäuschung für alle, die an die Versprechungen Schröders von Modernisierung und Innovation geglaubt haben. Die Umsetzung sei kein Aufbruch sondern Rückschritt. Der Chef der der Arbeitgeberverbände erkannte in der Vereinbarung ein „Bündnis gegen Arbeit“. Er erwarte schon bald eine besorgniserregende Entwicklung in der Wirtschaft, sagte Dieter Hundt. Dagegen begrüßte der DGB die Vereinbarungen.

Die Umweltverbände sehen das Ergebnis zwiespältig. Zwar betonte etwa der WWF-Naturschutzexperte Uwe Kievelitz seine Freude darüber, daß „der umweltpolitische Stillstand endlich überwunden ist“. Naturschutzbund-Präsident Jochen Flasbarth sah in den Beschlüssen zu Abfallpolitik und Naturschutz „eine gute Basis für eine zukunftsweisende Umweltpolitik“. Von den Erklärungen zu Atomausstieg und Ökosteuer waren die Verbände jedoch überwiegend enttäuscht. Bei der Benzinpreiserhöhung um sechs Pfennige kann der BUND „keine Lenkungswirkung“ erkennen.

Auch Menschenrechtsorganisationen waren vom Koalitionspapier wenig begeistert. Pro Asyl-Sprecher Heiko Kauffmann erklärte, „vieles bleibt hinter den Erwartungen zurück.“ Amnesty international begrüßte, daß bei Rüstungsimporten der Menschenrechtsstatus der Empfängerländer als zusätzliches Kriterium eingeführt werden soll. Für Reinhard Borchers vom Verein der kritischen Polizisten haben die Grünen bei der Innenpolitik versagt. „Als reine Mehrheitsbeschaffer wollten sie mit an die Macht, von einer grünen Drogenpolitik nach Schweizer Modell ist außer den Fixerstuben nichts übrig geblieben“, sagte er. Dieter Rulff