Zwei Schöngeister im Schongang

■ Nach dem unausgegorenen Songwriting von Sean Lennon baut das Versailler Duo Air auf amorphe Klangwolken und Kitsch-Giganten

Es gibt ein merkwürdiges Mißverhältnis zwischen der Lebensqualität eines Landes und seiner Musik. Nicht so sehr die anderen kulturellen Ausdrucksformen, sondern gerade die Tonkunst aus den südwestlichen EU-Staaten ist es, die auf Pop und Moderne bezogen seit jeher irrelevant blieb. Das mediterrane Gemüt, es scheint angesichts Sonne und lebendigem Straßenleben mit seiner klingenden Tradition wenig zu hadern. Der daraus resultierende Novitäts-Aspekt von „La France“ anstelle der ermüdenden Verweise auf Chicago, Bristol oder Köln trägt sicherlich dazu bei, daß Frankreich bzw. Paris nun seit einiger Zeit auch mal boomen darf.

Hier ging sie los, die Geschichte, mit Laurent Garnier als Hinhorcher, Motorbass als Mundwässerer und Daft Punk als Rakete, in deren grellen Fall-Out jeder kleine Winkel erleuchtet wurde. Beste Voraussetzungen also für jene Band, die Daft Punks Tanzflur-Dominanz in das Wohn- und Schlafzimmer erweiterte und das französische Element noch stärker hervorkehrte. Air gehören zu jenen kulturellen Erscheinungen, die zwangsläufig auftauchen müssen und jeden Manager wünschen lassen, es wäre seine Idee gewesen. Retro, klischeebeladen, handgespielt und mundgesungen – das optimale Verhältnis aus trippiger Hipness und authentischer Romantik und somit der Idealfall für all die Millionen, die lieber im Café plauschen als sich zu Tekkkno den Kopf blutig zu bangen oder bei Drum'n'Bass durch Motorik-Probleme aufzufallen.

Moon Safari, Airs Debüt, wurde in einer Villa in Versailles aufgenommen, jenem nicht eben schäbigen Vorort, aus dem die beiden Schulfreunde Jean Benoit Dunckel und Nicolas Godin stammen. Die dort anzutreffende Mischung aus Ornament und Natur ist dieser Platte eingeschrieben und hat sie zu einer Zone ohne Techno, House, Drum'n'Bass und Aggressionen gemacht wie sie so wahrscheinlich nur von Pariser Schöngeistern zurechtgebastelt werden konnte. Moon Safari ist von einer entrückten Verweichlichung, die an Kitsch-Giganten wie Mantovani oder Ray Conniff erinnert – nur vorsichtiger, moderner und mit besseren Bassläufen.

Eingeleitet wird der schöngeistige Abend vom lustigen Sohn Sean Lennon, der über das gemeinsame Label und die gemeinsame Beastie Boys-Verbindung andockt. Das macht zwar musikalisch keinen Sinn, doch immerhin lassen sich Airs amorphe Klangwolken nach Lennons unausgegorenem Songwriting umso besser genießen. Holger in't Veld

Mi, 28. Oktober, 21 Uhr, Grünspan