Die Deutsche Bahn AG hilft

■ Input 98: Die Bremerin Barbara Weller kämpft im Concordia mit Riesen und Zwergen

Huligan ist ebenso faszinierend wie schrecklich. Stimme, Körper, Selbstbewußtsein, Liebe – alles ist bei ihm riesengroß und stark entwickelt. So stark, daß er Männer und Frauen um ihn herum gleich serienweise niedermäht. Fünf Ammen hat er als Baby zu Tode gesoffen. Das Herz gleicht „dem Kolben einer Bergwerkspumpe.“ Vielleicht ist er mit dem Teufel im Bunde.

Ganz sicher aber steckt Barbara Weller mit Freimarkt und Deutscher Bundesbahn unter einer Decke. Just in jenem Moment nämlich, in dem Huligan niedergezwungen wird, und die ganze Welt urplötzlich verstummt, durchrüttelt und durchdröhnt ein Zug das Concordia. Das ist Dialektik: ein letztes Aufbäumen der Akustik vor einer Epoche düsteren Schweigens. Als dann auch Huligans schwacher, alter, verknöcherter Widersacher Skorabkowski zur Strecke gebracht ist, und die Welt endlich wieder zu summen und brummen beginnt, donnert vom Freimarkt ein Feuerwerk herüber. Das nennt man erstklassiges Timing.

Aber auch sonst gelingt es Barbara Weller gut, die ZuschauerInnen in die ferne Märchen-Anti-Idylle von Witold Gombrowicz mitzunehmen. Und das, obwohl die Geschichte nicht gerade von aktueller Relevanz ist.

Die Erzählung des Polen, der kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nach Argentinien emigrierte, will uns lehren, daß unreflektierte Vitalität nicht gut ist, der kleinbürgerlich-verklemmte Haß auf sie allerdings erst recht nicht. Auch das ist Dialektik. Außerdem lernen wir, daß Kleinigkeiten die Großen und Mächtigen zu Fall bringen können. Nein, nicht die Lewinsky, sondern eine Ratte.

Auch wenn man solches nicht gerade für eine umwerfende Erkenntnis hält, beeindruckt die Inszenierung Erwing Raus. Mit weitausgreifenden Armbewegungen zaubert Barbara Deller stickige Räume, düstere Verliese, weite Felder, nächtliche Todesängste, heuduftende Scheunen, also ein ganzes ländliches Kleinbiotop herbei. Im Unterschied zu den diversen Beckett-Solostücken schlüpft Weller nicht in eine einzige Rolle. Auch Akkordeonspieler Thomas Denker tut das nicht.

Obwohl er mit Kosackenbart, Bergbauerhut und Räuberstiefel allemal das Zeug für die Verkörperung des Riesen hätte, kommentiert er das Stück nur durch Blicke – und durch säuselnde Töne oder zünftiges Spiel.

Auf der Grenze zwischen Lesung und Schauspiel entlangschliddernd, wird die Macht der Fantasie noch einmal gefeiert. Und das, obwohl Weller früher mal für den Fantasie-Killer Fernsehen arbeitete. Für die Bettkantengeschichten des ZDF und die Rappelkiste schrieb sie Drehbücher und führte Regie. Mit dem Freien Burgtheater tourte sie im Handgepäck von Dario Fo durch Deutschland und die Schweiz. Später landete sie beim MOKS.

Die einstige Theater- und TV-Arbeit für Kinder merkt man ihr im Feiern der sinnlichen Details heute noch an: Der Windzug durchs Fenster, das Stampfen des Riesen, alles soll unter die Haut gehen. bk