: Déjà-vu der absteigenden Art
Bundesliga-Schlußlicht Werder Bremen erreicht im Uefa-Cup-Hinspiel ein 1:1 gegen Olympique Marseille – und alle reden nur von Trainer Wolfgang Sidka ■ Aus Bremen Jochen Grabler
„Wie, was, noch nicht gehört? Also, der von der Bild-Zeitung wird nach dem Spiel dem ZDF eine Schlagzeile in die Kamera erzählen. Na, und der sagt, er wüßte, wer's wird...“ Wen interessiert schon ein Fußballspiel, wenn doch am selben Tag möglicherweise noch echtes Blut fließt? So war's am Dienstag abend beim Uefa-Pokalkick von Werder Bremen gegen Olympique Marseille. Die alles entscheidenden Fragen: Rollt er nun, der Kopf von Werder-Trainer Wolfgang Sidka? Wenn ja, wer wird's? Und am allerwichtigsten: Kriegen wir's noch ins Blatt? Aufgeregt hockt die versammelte Journalistenschar auf der Pressebühne wie die Hühner auf der Stange, gackert wild durcheinander – und weiß nichts. Der letzte gesicherte Stand der Dinge: Erst heute wird sich das Präsidium mit Sidka und der Mannschaft zum Krisengipfel treffen.
Bremer Déjà-vu, zum dritten Mal nun dieselbe Geschichte: Mieser Saisonstart einer Mannschaft, die weit unterhalb ihrer Möglichkeiten spielt, wochenlang wilde Gerüchte, Rettungskäufe neuer Spieler, quälende Monate, bis die Vereinsführung endlich reagiert, Schmährufe und Spottgesänge der Fans. Unter Aad de Mos war's so, unter Dixie Dörner und nun auch unter Sidka. Bremer Déjà-vu in absteigender Reihe: So dramatisch wie zur Zeit war die Lage bei Werder selbst in den letzten Krisenjahren noch nie. Nach acht Spieltagen haben die Bremer gerade mal einen Sieg und vier magere Pünktchen auf ihrem Konto, Platz 18, der schlechteste Werder-Saisonstart aller Bundesliga-Zeiten – und keine Besserung in Sicht. Am letzten Samstag wieder eine desolate Leistung bei der Heimpleite gegen den SC Freiburg. Ein Gespenst geht um an der Weser. Abstieg.
Wie in den Jahren zuvor bangen die Fans, daß nun, bitte schön, auch das nächste Spiel noch in die Hose gehen möge, damit endlich mal was passiert. Und wie in den letzten Jahren läßt die Mannschaft ausgerechnet dann aufblitzen, was sie eigentlich kann. Ein trügerischer Hoffnungsschimmer im trüben Oktober: „Wir sind froh, gegen so eine starke Mannschaft unentschieden gespielt und ein Tor geschossen zu haben“, sagte hernach Olympique-Trainer Rolland Courbis. Und der Mann hatte durchaus recht.
Werder hätte am Dienstag abend auch gut und gerne gewinnen können – eigentlich müssen. Von der Spielkultur des französischen Tabellenzweiten war nicht allzuviel zu sehen. Marseille tat sich überaus schwer mit der engagierten Manndeckung der Bremer. Fabrizio Ravanelli war bei Jens Todt nahezu komplett abgemeldet, Florian Maurice hatte kaum eine Chance gegen Lody Roembiak, und davor ließen Eilts, Wicky und Flock Robert Pires und Christophe Dugarry kaum die Luft für wirklich gefährliche Spielzüge. Meist blieb die OM-Kreativabteilung schon im Werder-Mittelfeld hängen.
Daß die Franzosen in der 67. Minute trotzdem nach einem Blitzkonter durch Maurice in Führung gingen – Pech. Schon da hätte der großartig aufgelegte Marco Bode zwei Tore gemacht haben können. Ganz zu schweigen vom Herzog- Freistoß zu Beginn der zweiten Halbzeit. Allein: Da war Andreas Köpke vor. Der fischte mit sensationellen Reflexen, was zu fischen war. Nur an den 25-Meter-Knaller von Herzog eine Minute nach der Olympique-Führung kam auch Köpke nicht heran.
1:1, nicht Fisch nicht Fleisch, zwar eher die Ahnung, daß nach dem Rückspiel in Marseille das Thema Uefa-Cup abgehakt sein wird – aber eben weder die eindeutige Niederlage noch der Sensationssieg, die so oder so einen Hinweis auf das weitere Schicksal von Übungsleiter Sidka gegeben hätten. So muß sich die Stadt noch ein wenig gedulden.
Mit dem Auftritt des Bild-Kollegen beim ZDF wurde es nichts. Und mehr als die „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“, daß der neue Werder-Trainer Felix Magath heißen wird, hätte er eh' nicht zu bieten gehabt. Gestern – vorletztes Gerücht – sollte es noch einmal zu einem Treffen zwischen Magath und der Werder-Führungscrew kommen. Wenn das nicht – letztes Gerücht – schon geplatz ist, weil Magath angeblich definitiv abgesagt hatte. So oder so: Das Präsidium wird reagieren müssen. Der Respekt der Mannschaft vor dem Coach ist auf dem Nullpunkt angelangt, das Training eine Gespensterveranstaltung. Schon vor Monaten hatten einzelne Spieler der Führungsetage signalisiert, daß es mit Sidka nicht mehr weitergeht. Und an dieser Haltung hat sich seitdem nichts geändert. Im Gegenteil, die Stimmung ist dramatisch schlechter geworden. Also: Rollt er nun, der Kopf? Ziemlich sicher: Ja. Und dann? „Also dem Ersatzspieler seine Freundin hat dem Ehemaligen, der jetzt in der zweiten Liga spielt, erzählt, ab Donnerstag übernimmt der Amateurtrainer. Die hat's aus sicherer Quelle...“ Und so weiter, und so fort.
Olympique Marseille: Köpke – Blondeau, Blanc, Domoraud, Luccin (89. Gallas) – Roy, Brando, Pires – Ravanelli (85. Camara), Maurice, Dugarry (71. Bravo)
Zuschauer: 22.086
Tore: 0:1 Maurice (67.), 1:1 Herzog (68.)
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