Der Wächter über die Freiheit der Daten

■ Letzte Woche starb Jon Postel, einer der Gründer des Internets und Leiter der IANA, der Agentur für die weltweite Vergabe von Netzadressen. Er kämpfte bis zuletzt für den freien Zugang zum Netz

Spöttisch, aber auch ehrfürchtig nannten ihn manche den „Gottvater des Internets“. Daß er gegen den Vergleich irgendwelche Einwände vorgebracht hätte, ist nicht bekannt. Im Gegenteil, er achtete sehr darauf, mit schulterlangem, grauem Haar und gepflegtem Rauschebart jederzeit wie ein alttestamentarischer Prophet zu erscheinen. Letzte Woche hat ihn trotzdem der irdische Tod ereilt. Jon Postel starb im Alter von 55 Jahren an den Komplikationen einer Herzoperation.

Etliche Websiten sind ihm zu Ehren schwarz gefärbt. Jon Postel stand für die Revolution, die sich so viele mit der Entwicklung des Internets erhofft haben und noch immer erhoffen. Es ist eine Revolution der Freiheit aus den Wurzeln des Campus, eine Revolution der intellektuellen Eliten also, die sich alsbald als Gemeinde verstehen konnte. Sie hat einen ihrer wichtigsten Vorkämpfer verloren.

Ein Prediger bloß moralischer Prinzipen war Postel jedoch nie. Das unterschied ihn von Netzideologen wie John Perry Barlow oder Esther Dyson. Postel hat noch im Auftrag des Regierung am sogenannten Arpanet, der ersten Vorstufe des heutigen Internets, mitgewirkt, und Techniker im Hintergrund blieb er bis zuletzt.

In dieser Rolle allerdings ist sein Einfluß kaum zu überschätzen. Als die amerikanische Regierung beschloß, das Internet der öffentlichen Nutzung freizugeben, übergab sie ihm den Schlüssel: Postel leitete die „Internet Assigned Numbers Authority“, die halboffizielle Agentur IANA, die noch immer weltweit jene Adressen vergibt, ohne die der globale Datenaustausch unmöglich wäre. Doch mit der Kommerzialisierung des Netzes wurde Postels IANA zunehmend als Fremdkörper empfunden, die neuen Webfirmen warfen ihm vor, er denke zu sehr in akademischen und technischen Begriffen, und die amerikanische Regierung beschloß, die Funktionen der IANA privaten Firmen zu übertragen, die dem Markt besser angepaßt sind.

Aber so leicht ließ sich Postel nicht in Pension schicken. Hartnäckig verteidigte er, was er als ein Lebenswerk verstand: Den freien Zugang zum Netz, den ihm Firmen mit wirtschaftlichem Eigeninteresse nicht hinreichend zu garantieren schienen. Um die Gefahr zu demonstrieren, lenkte er Anfang des Jahres große Teile des amerikanischen Netzverkehrs kurzerhand auf seinen eigenen Computer um. Ein zeitweiser Zusammenbruch des in den USA inzwischen lebenswichtigen E-Mail-Verkehrs war die Folge – und Postel hatte gezeigt, wer Herr im Haus ist.

Anderen Herren, so lautete die schlitzohrige, paradoxe Botschaft des Anschlags, könnte die Freiheit der Daten weniger am Herzen liegen als ihm, und noch am 2. Oktober schickte er ein letztes Memorandum an den amerikanischen Handelsminister. Er schlug vor, wenn die IANA schon aufgelöst werde, dann solle wenigstens eine „Non-Profit“-Gesellschaft gegründet werden – ebenfalls in Kalifornien, in Postels Heimat. Ihre oberste Aufgabe müsse es sein, ein möglichst breites Spektrum von Interessen zu berücksichtigen – außer finanzielle auch „akademische“ und „internationale“. niklaus@taz.de