■ SommerSchule
: Lernen: Lebenslänglich?

In der SommerSchule debattieren LeserInnen die Zukunft von Schule und Hochschule.

In den 70er Jahren war es das Thema. Bildungsreformen standen als Symbol für eines der erfolgreichsten und gesellschaftlich prägendsten Projekte der SPD. Jene sozialen Schichten, in denen die Grünen heute besonders stark sind, haben sich durch diese Reformen erst gebildet. Die Konservativen haben gezeigt, daß sie mit Bildung nichts anfangen können – außer zu jammern, daß sie keine Eliten mehr produziere. Rot-Grün könnte heute die Hochschulreform neu starten – mit den Studierenden. Ein Anfang dazu wäre mit dem Koalavertrag gemacht. Der Zugang zu Bildung soll allen, so stellen es sich die Koalitionäre vor, unabhängig vom Einkommen offenstehen. Studiengebühren werden verboten. Und es soll eine Bafög- Reform geben, die zu mehr geförderten Studierenden, Schülern und Meisterschülern führe. Wie viele, wird sich zeigen.

Soweit die Pflicht. Die Kür wäre nun: ein neues Grundverständnis von Bildung.

1. Bildung muß, so traditionell das klingen mag, als Bürger- und Menschenrecht verstanden werden. Das heißt, daß Bildung kein staatlich oder vom Chef verordneter Prozeß der Optimierung sogenannter Humanressourcen sein darf. JedeR einzelne kann am besten entscheiden, welches Bildungsangebot am sinnvollsten für sie/ihn ist.

2. Die Hochschulen müssen von ständisch geführten Lehrfabriken in lern(ende) Organisationen verwandelt werden. Der derzeitige Hochschulbetrieb ist in einem didaktischen Lehr- Lern-Kurzschluß ganz auf das ausgerichtet, was die Wissenschaftler lehren (möchten). Eine völlig neue Lernkultur müßte sich aber an tatsächlichen Lernprozessen der Studierenden ausrichten. Dazu müßten sie realen Einfluß auf die Bedingungen ihres Lernens bekommen – um sie zu verstehen und zu gestalten. Die Rolle der Lehrenden muß sich von Grund auf ändern. Sie müßten sich weniger als Anleitende denn als Moderatoren von Lernprozessen verstehen. Ohne radikale Schnitte geht das nicht: Die Rahmenprüfungsordnungen müssen weg. Es braucht eine völlig neue Personalstuktur ohne Beamtenrecht und feudale Hierarchien. Und, man kann es nicht oft genug sagen, jene Gremien, die über die Grundordnung der Hochschulen und die Wahl der Hochschulleitungen entscheiden, müssen drittelparitätisch besetzt werden.

Wenn Lernen oder gar lebenslängliches Lernen in Zukunft mehr bedeuten soll als die willige Anpassung an jede Zumutung, die im Namen der Globalisierung verkauft wird, dann gehören Bildung als Menschenrecht und Demokratisierung der Bildungsinstitutionen zusammen. Nur so lassen sich selbstbestimmte Individualisierung und gesellschaftliche Verantwortung verbinden und für die Auflösung des Reformstaus nutzen.

Um dieses neue Bildungsverständnis durchzusetzen, müßte die neue Ministerin, Edelgard Bulmahn, Bildungspolitik von einer präsidialen Spielweise (Herzog, Rau) wegholen und sie wie ein wichtiges Reformfeld beackern. Dazu haben die Koalitionsverhandlungen nichts beigetragen. Im Gegenteil: Das Bildungsministerium wurde als Steinbruch benutzt; Lernen und Lehren war niemals Top- Thema am rot-grünen Tapet. Die entscheidende Frage wird also sein: ob die Studierenden es schaffen, mit sanftem (oder auch weniger sanftem) Druck von außen diese Reformen voranzutreiben. Jochen Geppert

Der Autor studiert Psychologie an der „Freien“ Universität Berlin. Beiträge an: Bildung@taz.de