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Die Macht des Kunden

Während die Nation um Studiengebühren streitet, geht es an der Hochschule Ottersberg nicht mehr ohne. Die Folge ist nicht soziale Auslese, sondern mehr Gemeinsinn  ■ Von Anja Dilk

Der Weg führt durch eine Bilderbuchlandschaft. Auf den saftigen Wiesen wärmen die Kühe ihre Bäuche in den ersten Sonnenstrahlen. Wer hier, 30 Kilometer von Bremen entfernt, mit dem Auto durch die Alleen braust, wähnt sich eher auf dem Weg zu einem Landmarkt denn zu einer Hochschule. Irgendwann, kurz vor dem Ortsschild: Fachhochschule Ottersberg.

Sandra studiert hier seit zehn Monaten Kunsttherapie. Um sich das Studium finanzieren zu können, muß die 24jährige fünfzehn Stunden pro Woche jobben – wie gut die Hälfte der StudentInnen an der Fachhochschule. Sandra gibt im Monat für Pinsel, Papier und Farben rund 100 Mark aus. Dazu kommt der Lebensunterhalt. Das schüttelt kaum einer aus dem Ärmel. Denn an der kleinen Fachhochschule kommt etwas hinzu, was die Finanzierung schwierig macht: Es werden 350 Mark Studiengebühren verlangt.

Zwar gründete das Ehepaar Siegfried und Rose Maria Pütz die Freie Kunststudienstätte vor rund 30 Jahren mit dem Impetus der 68er Bewegung, die Kunst breiteren Schichten zugänglich zu machen; es galt, deren „therapeutisch- pädagogische Wirkung“ zu erforschen. Aber weder staatliche Fördermittel noch fette Spendentöpfe halfen dabei. Was blieb, waren Gebühren. Inzwischen ist die Kunsthochschule staatlich anerkannt, sie erhält rund 300.000 Mark an Zuschüssen vom Land Niedersachsen. Aber die StudentInnen müssen auch heute noch 350 Mark pro Monat an Semestergeld löhnen.

520 StudentInnen lockt die kleine Fachhochschule mit ihrem eigenwilligen Konzept: Kunsttherapie steht hier auf dem Stundenplan, daneben freie Kunst und Schauspiel. Das alles ruht fest auf der Basis von Anthroposophie und Waldorfpädagogik. „Für uns ist die Kunst Teil des menschlichen Lebens“, erläutert Rektor Peer de Smit, „wir wollen sie in die Gesellschaft tragen, in die Industrie zum Beispiel oder in Krankenhäuser.“ Die Ottersberger arbeiten später im Strafvollzug, in Therapieeinrichtungen oder der Altenpflege. Die Auslese ist hart. Nur wer künstlerisch begabt ist, bereits erste Erfahrungen mit sozialer Arbeit gesammelt hat und mindestens 22 Jahre alt ist, hat eine Chance, das Aufnahmeverfahren in Ottersberg zu bestehen.

„Die finanziellen Beiträge sind unter den Studierenden schon Thema“, meint Sandra und gibt einen Schuß Grün auf ihr Blatt, „gerade angesichts der Diskussion über Studiengebühren an staatlichen Unis.“ Trotzdem findet die angehende Kunsttherapeutin, „daß es sich lohnt, hier zu studieren. Denn man lernt in Ottersberg viel im sozialen Bereich.“

Die Leitung der FH hilft bei der Suche von Stipendien oder verschenkt, bei finanziellen Engpässen, auch mal ein gebührenfreies Semester. Aber damit lassen sich nur fünf Prozent der Ottersberger Zöglinge versorgen. Die StudentInnen haben daher selbst die Initiative ergriffen: Ein Studienhilfsfonds ist im Aufbau, mehr als 20.000 Mark sind bereits in der Kasse. Über Sponsoren- und Spendengelder wollen sie damit interne Darlehen finanzieren.

Mit ihrem findigen Geschäftsführer Albrecht Lampe geht die Hochschule ganz neue Wege. Mitte Juli haben die Ottersberger eine Aktiengesellschaft gegründet. „Wo das Bafög inzwischen so desolat wird, wollen wir das scheinbar Unvereinbare vereinbaren: studentische Finanzbelange und Großkapitalismus.“ Der Einsatz kommt von außen: in Stückelungen von 20, 50 oder 100 Mark. Die Dividende kommt von innen: Die Investoren, meist Eltern, Lieferanten oder Kontaktfirmen, erhalten Kostproben studentischer Kreativität im „Schauspiel“, sie bekommen Gratis-Menüs in der Mensa und hören künstlerische Vorträge. Ganz ähnlich wie an US-Hochschulen bildet sich um die Gebühren herum eine eigene Kultur des Austausches zwischen Campus und gesellschaftlichem Umfeld.

Für den Geschäftsführer ist der Finanzmix aus Gebühren und Zuschüssen kein Zuckerschlecken. Lampe hat seit seinem Amtsantritt vor vier Jahren reichlich örtliche Sponsoren heranschaffen müssen. („Da zehre ich von meinen Erfahrungen als Teppichverkäufer im Oberharz.“) Trotzdem werden 80 Prozent der Kosten noch aus den Studiengebühren erwirtschaftet. Die StudentInnen stammen aber keineswegs nur aus wohlhabenden Familien. 38 Prozent der Ottersberger Studis bekommen Bafög, mehr als doppelt so viele wie an staatlichen Hochschulen.

Ottersberg funktioniert nur, wenn die StudentInnen mit anpacken. In der Mensa zum Beispiel. Beate hat gerade Schicht. Die Haare im Nacken zusammengefaßt, steht sie im Großküchendampf und präpariert den Lauchauflauf für 150 leere Mägen. „Einmal pro Trimester muß jeder mal ran“, erzählt sie und raspelt Knoblauchzehen in die Schüssel. „Manche sehen das nicht ein. Aber die Mehrheit akzeptiert's.“

Die StudentInnen in Ottersberg sind daran gewöhnt, selbst etwas auf die Beine zu stellen. Statt eines Studentenwerks blüht ein Strauß studentischer Initiativen: Wohnungsvermittlung, Cafeteria, Kindergarten, psychologische Beratungsstelle, Farbenverkauf, Frauenreferat und demnächst – wegen des Frauenüberhangs – sogar eine Männergruppe. Die Studi-Aktivisten bekommen dafür Geld von der Verwaltung, ein studentischer Initiativrat verteilt die Mittel.

Solch studentische Eigenständigkeit hat auch für die DozentInnen ihren Preis – den sie doppelt bezahlen: weil sie knapp ein Drittel weniger Gehalt als an einer Staatshochschule bekommen. Und weil die StudentInnen ihre Macht als Kunden sehr bewußt einsetzen. Vor einiger Zeit gingen sie auf die Barrikaden, weil sie mit einer Dozentin unzufrieden waren. Wir bezahlen für die Hochschule – da können wir schon etwas verlangen, beschwerten sich die Studis in der Verwaltung. Der Vertrag der Hochschullehrerin wurde nicht verlängert – auch wegen der Proteste. „Es ist ein gutes Gefühl, wenn man weiß, daß man durch die Gebühren auch was verlangen kann“, sagt Kunsttherapiestudentin Catrin, während sie mit aufgekrempelten Ärmeln, Putzeimer und Schrubber dasteht. Die 26jährige wischt den Flur des Verwaltungstrakts, um ihre Gebühren zahlen zu können.

„Eine feine Sache“, findet Catrin, „wenn man an einem Ort studieren und jobben kann.“ Sie würde sich wieder für Ottersberg entscheiden – obwohl das Studienidyll für sie längst Risse bekommen hat: Die Vorlesungen sind ihr zu voll, die Betreuung ist nicht ausreichend, und daß die Studenten die Klassenräume nach dem Unterricht selbst fegen müssen, findet sie unangebracht – wo sie doch für ihr Studium bezahlt.

„Natürlich wird auch gemeckert“, sagt Carmen von der Studentenvertretung. Zum Beispiel über mangelnden Praxisbezug der Veranstaltungen oder die Ausrichtung des Lehrplans. „Wir hätten gern mehr Einfluß auf die Studieninhalte, das Studium ist manchmal zu stark anthroposophisch orientiert“, zählt Carmen auf.

Ilka von der Kindergarten-Initiative ist anderer Meinung. Die Studenten können mitbestimmen, und das nicht zu knapp. „Es ist schon eine sehr offene Atmosphäre in Ottersberg“, findet sie. „Woanders wäre das nicht machbar. Da haben die Studenten doch gar keine Möglichkeit, so wie wir bei der Gestaltung der Hochschule mitzuwirken.“

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