Perfekter Kinderkram

■ Im Modernes zeigte „Blümchen“, der Schwarm junger Mädchen, daß weder Instrumente noch Gesang nötig sind, um ein gefeierter Musikstar zu werden und zu bleiben

Gehen TazleserInnen zu einem Blümchenkonzert? Viele mußten wohl hin. Denn das Zielpublikum der 18jährigen Sängerin aus Hamburg sind Mädchen zwischen sieben und vierzehn, und die lassen guten Eltern höchst ungern alleine in Konzerte gehen. Da mußten also entweder der Papa oder die Mama mit. Und das bedeutete bei fast jedem glühenden Fan gleich zwei verkaufte Eintrittskarten.

Gutes Marketing nennt man sowas. Und die versammelte Elternschaft, die neben etwa 50 Prozent Kindern und 20 Prozent Infantilen den beachtlich großen Rest der Zuhörerschaft im Modernes ausmachte, mußte sich für weitere Angriffe aufs Portemonnaie wappnen. Das eine knappe Stunde lange Vorprogramm des Konzerts war nämlich eigentlich ein Werbeblock: für eine (immerhin Bremer) Boygroup, eine Actioncartoon-Serie, deren Helden von Sängerinnen und einem Tänzer auf der Bühne verkörpert wurden, und einen schwarzen Sänger, der HipHop für Zehnjährige macht.

Die Kinder wurden dann langsam ungeduldig, und die Eltern begannen sich Sorgen zu machen, ob sie trotz des kindgemäßen Konzertbeginns um 18 Uhr ihre Kleinen zu ordentlichen Zeiten ins Bett kriegen würden. Aber dann stand sie auch schon in langem, weißen Kleid auf der Bühne und sang. – Ja, gesungen wird sie wohl noch haben, aber ansonsten konnte man (wenn man nicht mehr das Glück hatte, Kind zu sein) am Auftritt von Blümchen exemplarisch festmachen, wie die Musik bei Konzerten immer unwichtiger wird. Blümchens Gesang kam noch zum großen Teil live auf ihre Kehle, aber alles andere kam offensichtlich vom Band. Mit zwei Frauen an Keyboards waren zwar noch Rudimente einer Band auf der Bühne, aber deren Handbewegungen an den Instrumenten hatten nur symbolischen Charakter. Und als später eine von ihnen ein Gitarrensolo „vorspielte“, war das Instrument dabei augenscheinlich eine Attrappe. Musiker werden bei Konzerten langsam zum Anachronismus, aber dafür gab es bei Blümchen vier Tänzer: Ihre „Jungs“, die in den verschiedensten Kostümen Maschinenmenschen, Schlafmützen, Punker oder Sexobjekte für Sechsjährige spielen mußten. Zweimal mußten sie Blümchen auch auf Händen tragen, und dabei möglichst immer lächeln.

Blümchen selbst verkörperte perfekt ihr Image des netten Girlies. Dank vieler Kostümwechsel schmiegte sie sich mit jedem Lied paßgenau an die Befindlichkeiten ihrer kindlichen Zielgruppe an. „Willkommen in meinem Garten“ klang da überhaupt nicht zweideutig, „Laß mir noch etwas Zeit“ wurde zwischen Kissen in Herzform so nett gesungen, daß man kaum merkte, das dies immerhin ein Lied über bedrohte Jungfernschaft ist. Und bei der „U-Bahn ins Paradies“ rief Blümchen als Zugansage Blumenthal als Haltestation aus.

Bei all dem wirkte sie immer sehr gewinnend natürlich – sie sang oder tanzte nie so perfekt, daß ihr Publikum dadurch eingeschüchtert werden könnte. Blümchen war die große Schwester, die jedes kleine Mädchen sich wünscht. Selbst die Textzeile „Was ich Euch geb, gebt ihr mir millionenfach zurück“ im ersten Song der Zugabe sang sie so kreuzehrlich, daß der Zynismus des Texters im allgemeinen Wohlgefühl unterging. Und für die Mamas und Papas gab es dann auch noch etwas: Blümchen coverte „Nur geträumt“ von Nena und „Deine Blauen Augen“ von Extrabreit, und diese raffiniert aufgepeppte „Neue Deutsche Welle“ rief Erinnerungen an einstige deutsche Popstars wach. Im Vergleich ist Blümchen zumindest viel schöner.

Wilfried (hipchen) Hippen