■ Sozialdemokraten und Bündnisgrüne vor ihren Parteitagen
: Die Entmachtung der Parteien

Die Parteitage von SPD und Bündnis 90/Die Grünen stimmen am Wochenende mit dem Koalitionsvertrag ihrer eigenen Entmachtung zu. Das ist eine Begleiterscheinung jeder Regierungsübernahme. Oppositionsparteien müssen ihre Kraft aus einer festen Verankerung in Ländern und Kommunen beziehen. Nur dort können sie auch selbst gestalten. Regierungsmacht im Bund führt zur Zentralisierung von Entscheidungsprozessen und geht mit der Verfügungsgewalt über einen effizienten Apparat einher. Damit kann keine Parteiorganisation konkurrieren.

Es ist kein Zufall, daß die stärksten Parteisoldaten – Oskar Lafontaine, Franz Müntefering und Jürgen Trittin – alle im Kabinett vertreten sein werden. Die Musik spielt stets dort, wo die Regierung sitzt. Um deren Arbeit und den Fortbestand der Koalition nicht zu gefährden, tragen Parteien programmatischen Streit oft auch dort nicht aus, wo er notwendig wäre. Wohin das alles führen kann, zeigt die derzeitige Orientierungslosigkeit der CDU.

Regierungsparteien droht hinsichtlich ihrer inneren Entwicklung heute eine größere Gefahr als früher. Das hängt zum Teil damit zusammen, daß die Zahl der Wechselwähler stetig wächst und die Bevölkerung den Parteien als Institutionen mit wachsendem Mißtrauen gegenübersteht. Noch bedrohlicher ist es, daß mittlerweile auch führende Politiker selbst eine latente Verachtung gegenüber der eigenen Basis zeigen. Gerhard Schröder hat die SPD und deren Programm im Wahlkampf so gut versteckt wie möglich. Joschka Fischer ließ schon früher gerne Distanz zur eigenen Partei erkennen. Im Wahlkampf haben es ihm jetzt viele seiner Bündnisgrünen gleichgetan, auch aus den Reihen der Linken.

Die in Bonn weitverbreitete Überzeugung, politische Zusammenhänge seien mittlerweile so komplex, daß nur wenige Eingeweihte ein sachverständiges Urteil fällen könnten, ist im Kern demokratiefeindlich. Die Demokratie wird in Westeuropa nicht mehr durch Diktatoren, sondern durch ein Heer von Experten bedroht, die sich über alle Meinungsverschiedenheiten hinweg kenntnisreich zuzwinkern. Den Parteien kommt hier eine Wächterfunktion zu. Sie müssen darauf achten, wann ihre Spitzenpolitiker selbstverliebt in die eigene Kompetenz und inmitten des Dschungels angeblicher Sachzwänge beginnen, das große Ganze aus den Augen zu verlieren.

Der Erfolg der Regierung wird sich daran messen lassen, ob sie den Geist der Koalitionsvereinbarung in konkrete Politik umsetzt. Es ist die Aufgabe der Basis von SPD und Grünen, die Regierung im jeweiligen Einzelfall an diesen Geist zu erinnern. Es ist nicht ihre Aufgabe, jetzt im Detail nachzurechnen, ob's nicht ein paar Steuererleichterungen mehr und ein paar Soldaten weniger hätten sein sollen.

Signale aus Landes- und Kreisverbänden zeigen, daß die meisten Delegierten das auch so sehen. Unbehagen über Abstriche vom eigenen Programm aber bleibt, vor allem beim kleineren Koalitionspartner. Dieses Unbehagen droht sich bei den Grünen jetzt in einem Streit über ein abgelegenes Thema Luft zu machen: der Trennung von Amt und Mandat. Ein Konflikt wird auf dem Parteitag offenbar allein über die Frage ausbrechen, ob Kabinettsmitglieder ihre Bundestagsmandate aufgeben müssen.

Hier stellen sich Teile der Basis selbst eine Falle. Gerade wenn die Partei will, daß ihre Führungsspitze nicht opportunistisch jedes Prinzip um des reinen Machterhalts willen zu opfern bereit ist, darf sie die Kabinettsmitglieder nicht unnötig persönlich schwächen. Minister, die nach einem Rücktritt nicht einmal mehr im Parlament sitzen, sind in besonderer Gefahr, sich an ihre Posten zu klammern.

Es ist mißlich, daß die Bündnisgrünen die längst überfällige Frage der Trennung von Amt und Mandat nicht schon viel früher geklärt haben. Aber dieses Versäumnis macht das Thema noch längst nicht zur Nagelprobe, an der es sich erweisen wird, ob die Grünen ihr Profil retten können. Eine Regierungspartei profiliert sich nicht über demokratietheoretische Symbole, sondern über politische Inhalte. Bettina Gaus