Rot-Grün muß Spießruten laufen

■ Der Koalitionsvertrag ist unterschrieben, schon mosern die Lobbyisten: Die Ökosteuer ist zu scharf/zu lasch. An den sozialen Leistungen kürzt die neue Regierung zuviel/zuwenig

Bonn (taz) – Das Leben ist ungerecht. Da hat die neue Regierung nach zwei Wochen die bis dato kürzesten Koalitionsgespräche abgeschlossen, und was passiert? Statt Anerkennung hagelt es Kritik. Als „bremsend“, „gefährlich für den Standort Deutschland“, ja sogar „unsozial“ geißelten Lobbyisten aller möglicher Gruppen die Pläne der rot-grünen Mannschaft.

Die IG Chemie etwa findet die neue Ökosteuer gar nicht gut. Der Gewerkschaftsvorsitzende Hubertus Schmoldt glaubt, daß sie „keinen Nutzen für Umwelt und Beschäftigung“ bringen, sondern nur Kosten verursachen werde. Er fürchtet noch „höhere Arbeitslosigkeit und einen Verlust an internationaler Wettbewerbsfähigkeit“. Eine ökologische Steuerreform sei nur in einem europäischen Rahmen sinnvoll, meinte Schmoldt. In diesem Punkt wenigstens liegt er mit dem designierten Finanzminister Oskar Lafontaine (SPD) auf einer Linie.

Unerwartet dürfte die Koalition der Vorwurf treffen, die Steuerreform sei unsozial. Genau das beklagt Ina Stein, stellvertretende Bundesvorsitzende des Sozialverbandes Reichsbund. Behinderte würden dadurch benachteiligt, erklärte Stein gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung – weil sie auf elektrische Hilfsmittel mit hohem Stromverbrauch angewiesen seien. Auch müßten Behinderte meist höhere Heizkosten zahlen.

Ein Aufbruch – aber leider ein unsozialer

Wenn es nach dem Bund der Steuerzahler ginge, wäre es gerade andersherum – man hätte besonders bei sozialen Leistungen kürzen sollen. Da daß „Erziehungsgeld wirkungslos“ sei, findet Präsident Heinz Däke, sollte es lieber abgeschafft werden. Wenn auf staatlicher Ebene, bei den Ministerien, gleich weitergestrichen würde, wären laut den organisierten Steuerzahlern 45 Milliarden Mark einzusparen. Im Gegenzug könnten Steuern und Abgaben sinken.

Allerdings, und das wird Rot- Grün freuen, gibt es auch positive Reaktionen auf den Koalitionsvertrag. ÖTV-Chef Herbert Mai hält das Programm „für einen neuen Aufbruch“, wodurch „dringende Probleme wie die Massenarbeitslosigkeit angepackt werden können“. Obwohl also zur Abwechslung von einer Lösung für das Problem der Massenarbeitslosigkeit ausgegangen wird, müssen sich in Zukunft nach Ansicht von Roland Issen, dem Vorsitzenden der DAG, auch die Arbeitgeber „aktiv für ein neues Bündnis für Arbeit einbringen“. Dort sei auch über Arbeitszeitverkürzung zur Arbeitsumverteilung zu sprechen.

Die Aktionsgemeinschaft Wirtschaftlicher Mittelstand findet dafür die Neuordnung der Förderprogramme für kleine und mittlere Unternehmen sowie Existenzgründer gut. Bundesgeschäftsführer Martin Matz sagte dem Kölner Express, er vermute, die Beträge der kleinen Unternehmen für die Industrie- und Handelskammern könnten sogar sinken.

Die Umweltverbände sind sich einig – das Koalitionsprogramm ist ein Schritt in die richtige Richtung. „Als historische Zäsur“ bezeichnet Walter Homolka, der Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, den gesetzlich festgehaltenen Ausstieg aus der Atomenergie. Ob jedoch die neue Regierung tatsächlich die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllt, will die Umweltorganisation erst messen: Am Stopp des Brennelementetransports zur Wiederaufbereitung nach Frankreich und Schottland. Bis 2005 müsse der vollständige Ausstieg aus der Atomenergie vollzogen sein. Wenig begeistert war Greenpeace über die Ökosteuer, weil „die Festlegung auf drei Jahre viel zu kurz ist“, meint Kristina Steenbock, Ökosteuer-Expertin der Umweltschützer. Die Erhöhung der Mineralölsteuer um nur sechs Pfennig sei „einfach nicht ernst zu nehmen“, meinte sie. Greenpeace will die Regierung weiter mit „Argumenten und Aktionen“ „auf Kurs“ halten.

Das wollen sie wahrscheinlich alle. Ruth Ciesinger