Schäubles mühsame Chefwerdung

Die Bewerbung von Rita Süssmuth um das Vizeamt der CDU bringt des künftigen Parteichefs Favoriten in Gefahr. Lieber das Soziale betonen oder neoliberal sein?  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

Er werde sich als ganz einfacher Abgeordneter sehr wohl fühlen, hat Verkehrsminister Matthias Wissmann gerade erst bei einem Abschiedsessen beteuert und ungefragt hinzugefügt: „Ich habe mich nach keinem weiteren Amt gedrängt.“ Nun hat er trotzdem eines. Schatzmeister soll er werden. Neue Generalsekretärin wird Umweltministerin Angela Merkel. Sie erfüllt drei Quotenwünsche gleichzeitig: Sie ist eine Frau, sie kommt aus dem Osten, und sie ist jung.

Der designierte CDU-Vorsitzende Wolfgang Schäuble hat diese Vorschläge gestern dem Vorstand seiner Partei unterbreitet und damit erste Weichen gestellt. Die eigentliche Feuertaufe aber steht ihm noch bevor. Erst auf dem Parteitag wird sich nach Ansicht mancher CDU-Politiker erweisen, ob es ihm gelingen kann, endgültig aus dem Schatten von Helmut Kohl herauszutreten.

Der hat ihn beim eigenen Absturz zwar nicht mit in die Tiefe gerissen. Seither habe der Fraktionschef, so ist aus der CDU zu hören, jedoch Fehler gemacht – wenn auch sehr unterschiedliche: Den einen geht die personelle Erneuerung der CDU nicht weit genug; andere hätten sich ein entschiedeneres Auftreten gegenüber den Ansprüchen der sogenannten Jungen Wilden gewünscht; dritte vermissen seitens der Führungsspitze eine Analyse der eigenen Versäumnisse, und wieder andere halten es für fatal, daß Schäuble ausgerechnet jetzt um ehemalige SED-Mitglieder wirbt.

Der letzte Punkt beweist, wieviel schärfer der Wind dem Fraktionschef ins Gesicht bläst. Als Kronprinz hatte er sich mehr leisten können als jetzt. Die ehemaligen SED-Mitglieder „müssen ihre Chance in der freiheitlichen Demokratie haben und dürfen nicht ausgegrenzt werden beim Bemühen um die Vollendung der inneren Einheit“. Das hat Schäuble schon vor Jahren geschrieben. Hat es einer gelesen? Heute, wo die Rivalitäten voll entbrannt sind, bleibt nichts ohne Widerspruch.

Mindestens fünf Kandidaten bewerben sich um die vier Posten der stellvertretenden Parteivorsitzenden. Die Berufung von Angela Merkel als Generalsekretärin hat Rita Süssmuth veranlaßt, ihren Hut in den Ring zu werfen. Andernfalls wäre kein Personalvorschlag seitens der Frauen-Union gekommen, und das wäre eine „Ohnmachtserklärung“ gewesen, begründet die Bundestagspräsidentin ihre Bewerbung. „Wir haben zur Kenntnis nehmen müssen, daß die Frauen uns in großer Zahl bei der Wahl ihre Stimme nicht mehr gegeben haben.“ Es gelte nun, dafür zu sorgen, daß die Frauenthematik „wieder einen vorderen Platz einnimmt“. Sie hält es zudem für eine Aufgabe der Union, Lösungen für die Fragen von wirtschaftlicher Entwicklung und sozialer Sicherung zu finden.

Das sehen andere ähnlich. Aber wer eignet sich dafür? Niedersachsens CDU-Chef Christian Wulff, der jüngste Kandidat, wirbt für seine Person stets mit dem Argument, die Erneuerung der Partei könne nicht mit alten Kräften verwirklicht werden. Das zielt vor allem auf Mitbewerber wie Baden- Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel und Arbeitsminister Norbert Blüm. Der fordert im Gegenzug konkrete politische Konzepte ein: „Nur jung und wild zu sein reicht nicht.“

Wulff hat sich als äußerst wendig in inhaltlichen Fragen erwiesen. Trat er noch vor einem Jahr wie der Erfinder des Neoliberalismus auf, so scheint ihm seit einiger Zeit vor allem das Thema der sozialen Gerechtigkeit am Herzen zu liegen. Anderen Nachwuchspolitikern der Partei werden jedoch derzeit keine Chancen auf Spitzenpositionen eingeräumt. Ein radikaler Wirtschaftsliberaler wie der JU- Vorsitzende Klaus Escher gilt in der CDU nicht als mehrheitsfähig.

Schäuble ist bislang mit allen Versuchen gescheitert, einen der Kandidaten zum freiwilligen Rückzug zu bewegen. Seither betont er öffentlich oft, wie sehr ihn der „große Reichtum“ der Partei an „hervorragenden Frauen und Männern“ freut, und lobt das demokratische Element von Kampfabstimmungen. Dem könnte sein derzeit engster Mitstreiter zum Opfer fallen: Verteidigungsminister Volker Rühe kommt aus dem winzigen Hamburger Landesverband und hat keine starke Hausmacht in der Partei.

Fällt er durch, dann wäre das auch eine Niederlage für Wolfgang Schäuble. Einen verpatzten Start ins neue Amt kann sich der künftige CDU-Vorsitzende aber auch deshalb nicht leisten, weil immer deutlicher wird, daß sein Vorgänger von der Politik nicht lassen mag. Beim Großen Zapfenstreich in Speyer hat Helmut Kohl angekündigt, sich auch künftig zu Wort melden zu wollen. Seit gestern steht nun auch fest, daß er Ehrenvorsitzender der CDU werden soll.