"Die Steuerreform ist ein riesiger Schritt"

■ Gunda Röstel, Vorstandssprecherin der Grünen, über die Kritik an der rot-grünen Koalitionsvereinbarung, den Streit bei den Grünen über die Trennung von Amt und Mandat sowie ein mögliches neues F

taz: Rot-grün ist der Wechsel, hieß es vor der Wahl. Der Wechsel geht der Wirtschaft nicht weit genug. Die führenden Forschungsinstitute beklagen die Halbherzigkeit der beabsichtigten Steuerreform. Überraschen Sie die Reaktionen?

Gunda Röstel: Es ist keine halbherzige Steuerreform. Die Erwartungen, die die frühere Bundesregierung geweckt hat, sind von falschen Vorgaben ausgegangen. Eine solch große Nettoentlastung war einfach nicht verantwortbar. Angesichts der Haushaltslage war keine weitere Verschuldung des Bundeshaushaltes möglich, sondern wir mußten eine Gegenfinanzierung durch den Abbau von Steuervergünstigungen haben. Außerdem, im Sinne der sozialen Gerechtigkeit ist mit dieser Steuerreform ein riesiger Schritt gelungen.

Aber Beschäftigungsimpulse sind davon nicht zu erwarten, sagen die Wirtschaftsforscher.

Mit dieser Einschätzung wäre ich vorsichtiger. Unsere Steuerreform stärkt die kleineren und mittleren Einkommen und damit die Binnennachfrage. Außerdem erhöht sie die Investitionskraft der Unternehmen. Uns ist eine deutliche Absenkung der Steuersätze auf gewerbliche Einkünfte und des Körperschaftssteuersatzes gelungen. Wir müssen noch prüfen, ob die hohe Spreizung zwischen gewerblichen und privaten Einkünften nicht zu verfassungsrechtlichen Problemen führt.

Aus dem Mittelstand sind bislang keine begeisterten Stimmen zur Ökosteuer-Reform zu hören. Sollte nicht gerade diese Reform zu mehr Beschäftigung führen?

Warten wir mal ab, bis die Absenkung der Lohnnebenkosten, die durch die Erhöhung der Steuern auf Mineralöl, Gas und Strom gegenfinanziert wird, spürbar wird. Ich habe das Gefühl, daß ein generelles Mißtrauen besteht, daß eine Steuerreform zu mehr Belastung führt. Wenn die Entlastung spürbar wird, wird es auch eine Stimmung zugunsten einer ökologischen Steuerreform geben.

Bislang hört man nur die stöhnenden Stimmen, die über mehr Belastung klagen.

Wir haben im gesamten Steuerbereich positive Zeichen gesetzt, gerade für den Mittelstand. Die Glaubwürdigkeit wird mit der Umsetzung wachsen.

Gerhard Schröder sieht dieses Mißtrauen gegenüber der Steuerreform anscheinend als begründet an. Er hat bereits Nachbesserungen angekündigt. Machen die Grünen da mit?

Die Position des Mittelstandes zu verbessern ist auch unser Interesse.

Die Wirtschaftsverbände sind verärgert, die IG Metall kündigt hohe Lohnforderungen an. Sind das gute Voraussetzungen, um ein Bündnis für Arbeit zu schließen?

Man sollte ein solches Bündnis angehen, ohne hohe Hürden aufzubauen. Diese Erwartungen habe ich an beide Seiten. Die Gewerkschaften haben in den vergangenen Jahren mit moderaten Lohnabschlüssen eine Vorleistung erbracht, von seiten der Unternehmer ist hingegen wenig gekommen. Ich kann deren Spitzenverbände nur davor warnen, mit vorschnellen Äußerungen ein Bündnis zu gefährden.

Wäre die Koalition bereit, mit den Mitteln des Kombilohnes für mehr Arbeitsplätze zu sorgen?

Es liegt zur Zeit noch kein passendes Modell vor, über das verhandelt werden kann. Deshalb hat es im Koalitionsvertrag auch keine Festlegung gegeben. Es gibt das große Problem der Mitnahmeeffekte. Das muß man sich sehr genau anschauen. Aber ich sehe dringenden Diskussionsbedarf und bin mir sicher, daß wir ein Konzept finden werden, bei dem Lohnzuschüsse sinnvoll eingesetzt werden.

Bislang bekommen Sie mehr Druck aus der Wirtschaft als von der eigenen Basis. Das ist doch ein ganz neues Gefühl. Wie gehen Sie damit um?

Es geht um ein neues Projekt, und ich habe die Erwartung an die Wirtschaftsverbände, daß sie sich daran beteiligen. An der eigenen Basis ist hingegen ein hohes Bewußtsein, welche neue Verantwortung jetzt auf uns zugekommen ist. Wir haben die Ergebnisse der Verhandlungen in die Partei rückgekoppelt, und sie sind nachvollzogen worden.

Auch, daß nur eine einzige Frau Ministerin wird?

Das war ein schwieriges Thema. Insgesamt ist die Quote in sehr guter Art und Weise erfüllt worden. Es gibt immerhin die feste Abmachung, daß der Posten einer EU- Kommissarin an eine bündnisgrüne Frau geht. Zudem sind unter den parlamentarischen Staatssekretärinnen die Frauen überproportional vertreten.

Die Spitzenämter sind mit Männern besetzt. Eines wird demnächst vakant. Soll der nächste Bundespräsident eine Frau sein?

Die SPD hat das Vorschlagsrecht.

Aber die Grünen haben doch eine Meinung.

Wenn die Gremien der SPD eine solche Lösung finden, wird das unsere Unterstützung finden. Persönlich würde ich es begrüßen, wenn die SPD-Frauen sich hier durchsetzen.

Würden sie es auch begrüßen, wenn auf Jürgen Trittin eine Frau an die Spitze der Bündnisgrünen folgt?

Ich kann mir gut vorstellen, mit einer Frau zusammen die Führung unserer Partei zu übernehmen.

Es wurde bereits Renate Künast, die Vorsitzende der Berliner Abgeordnetenhausfraktion, für diese Position ins Spiel gebracht. Wie wäre es mit einer Doppelspitze Röstel/Künast?

Es gibt keinen Grund, dagegen zu sprechen. Wir haben in der Verhandlungskommission sehr gut zusammengearbeitet. Die Entscheidung liegt natürlich bei Renate Künast.

Und Ihre Entscheidung?

Ich will jetzt erst mal eine Woche Pause machen. Aber ich kann mir gut vorstellen, nochmals als Sprecherin anzutreten.

Die künftigen Bundesminister wollen ihr Mandat nicht abgeben. Ein Teil der Basis revoltiert. Wie werden Sie den beruhigen?

Das Ansinnen ist ernst zu nehmen. Wir haben diese Frage in der Satzung nicht geregelt. Auch aus den Erfahrungen auf der Länderebene heraus muß man das Resümee ziehen, daß es nicht klug ist, wenn Minister ihre Sicherheit und Unabhängigkeit verlieren, indem sie ihr Mandat niederlegen.

Werden die Grünen dem Koalitionsvertrag zustimmen?

Wir haben in der Partei einen hohen Realitätssinn. Wir haben im Vertrag weniger auf symbolträchtige Zahlen und Projekte gesetzt, sondern mehr die Instrumentarien festgelegt. Wenn man vom Ziel her denkt, ist das erfolgsträchtiger. Wir werden eine breite Zustimmung zu diesem Vertrag bekommen. Interview: Dieter Rulff