Die UNO hat das Teufelszeug geächtet, in Deutschland breitet sich das Biozid TBT trotzdem flächendeckend aus. Küsten und Häfen sind verseucht, auch in den Abwässern im Hinterland tickt eine Zeitbombe. Das Hormongift ist eine Gefahr auch für Menschen Von Thomas Schumacher

Mit TBT schleicht sich die Pest an Bord

Der internationale Überseehafen in Bremerhaven müßte womöglich noch dieses Jahr dichtgemacht werden, wenn nicht sofort 200.000 Kubikmeter Hafenschlamm ausgebaggert werden. Erzfrachter, Tanker und Containerschiffe laufen sonst auf Grund. Die Hafenverwaltung würde gerne ausbaggern, nur weiß sie nicht, wohin mit dem Baggergut. Das besteht nämlich aus einem brandgefährlichen Gemisch aus Chemieabfällen. Besonders ein Gift in dieser Brühe sorgt nicht nur in Bremen für Hektik: Weltweit heulen bei den Hafenverwaltungen die Alarmsirenen, wenn es um Tributylzinn (TBT) geht.

Das Biozid wird von Schiffswerften und Schiffen in die Häfen eingeschleppt. TBT ist Schiffsfarben beigemischt, es soll Seepocken und Algen ersticken und so den Bewuchs auf der Schiffshaut verhindern. Die „blinden Passagiere“ am Schiffsrumpf verlangsamen schon bei einem Millimeter Bewuchs die Fahrt, führen so zu erhöhtem Treibstoffverbrauch und zwingen die Schiffe häufiger zur Renovierung in die Docks. Alle drei Dinge fürchten Reeder wie vormals die Pest, denn Algenbewuchs kostet sie eine Menge Geld.

Einen beängstigenden Steckbrief für TBT stellt Jürgen Kuballa aus. Der Meeresbiologe vom Galab-Institut in Geesthacht, eines der wenigen Labors in Deutschland, die TBT qualifiziert nachweisen können, meint, TBT sei „ein perfekter Killer“. TBT greift in den Hormonhaushalt von Lebewesen ein. Es wirkt in kleinsten Mengen und es wirkt langfristig. TBT kommt weltweit in sehr hohen Mengen in Meerwasser, Fluß- und Hafensedimenten vor. Es vergiftet nicht nur kostengünstig und effektiv die Seepocken und Algen an den Schiffsrümpfen – es verseucht auch weltweit Küsten und Binnengewässer. Jürgen Kuballa löst deshalb TBT-Alarm aus: „Wir müssen davon ausgehen, daß nur ein Drittel der Weltproduktion von TBT in die Schiffahrt geht. Zwei Drittel fließen heute in die ,allgemeine Produktion‘.“

Ein weites Feld: TBT ist Standard bei der Herstellung von Kunststoffen, es ist in Holzschutzmitteln enthalten und wird verstärkt als Imprägnierung für Textilien benutzt. Auch in der Landwirtschaft findet es als Pilzvertilger Verwendung. „Die Auswirkungen der Herstellung und Verarbeitung von TBT können wir aus dem Binnenland bis in die Flußmündungen verfolgen“, erklärt Kuballa. Gerade hat der Wissenschaftler extrem hohe Belastungen mit TBT in den Abwässern der niedersächsischen Stadt Hildesheim nachgewiesen. Es hätte auch München oder Berlin sein können. Denn, so Kuballas Fazit: „Wahrscheinlich muß die gesamte Abwasserpolitik in Deutschland neu überdacht werden. Selbst wenn der Einsatz von TBT heute verboten würde, hätten wir noch jahrzehntelang mit dem Gift zu kämpfen.“

Aufmerksam wurde man auf TBT, als Anfang der achtziger Jahre die Austernbänke in Frankreich, Japan und den USA zusammenbrachen. Austernfischer in der Bretagne wurden in den Ruin getrieben; das Gift hatte den Hormonhaushalt der Meereslebewesen erfaßt. Muscheln und Austern zeigten Schalendeformationen und Wachstumsstörungen. Außerdem wuchsen weiblichen Meeresschnecken Penisse. Sie wurden unfruchtbar. Erste Studien ergaben: Generell können Hormongifte auch Menschen schädigen.

Die UNO hat daraufhin TBT weltweit geächtet, auf ein Verbot wird hingearbeitet. Einige Staaten haben schon Hafenverbote gegen TBT-Schiffe verhängt. Zwar wurden TBT-Anstriche für Boote unter 25 Metern Länge international verboten. Aber gerade kleine Sporthäfen, sowohl die an der deutschen Nord- und Ostseeküste als auch die im Binnenland, gelten als extrem TBT-verseucht. „Es gibt ja keine gesetzliche Handhabe in Deutschland, Sportboote flächendeckend zu kontrollieren“, bedauert Biologe Herrmann Michaelis von der Forschungsstelle Küste in Norderney. Ihm kam das traurige Verdienst zu, die Auswirkungen von TBT an der Nordseeküste diagnostiziert zu haben. Eine Schneckenart, die Wellhornschnecke, ist ausgestorben. Der Rückgang der natürlichen Miesmuschelbänke ist dramatisch. „Derzeit können wir etwa 70 toxische Schadstoffe in der Nordsee ausmachen. TBT ist einer davon und ein Teufelszeug, das uns noch lange beschäftigen wird“, meint Michaelis resigniert. Mittlerweile beobachten Wissenschaftler auf der ganzen Welt schon bei hundert Schneckenarten Vergiftungen mit TBT und damit verbundene Unfruchtbarkeitserscheinungen.

„Das Zeug ist überall“, mußte Rainer Götz von der Hamburger Umweltbehörde feststellen. Eine aktuelle Studie weist hohe TBT- Belastungen in Hamburger Binnengewässern nach. Was schlimmer ist: TBT hat sich im Fett von Fischen, besonders Aal und Brasse, angereichert. Der Hamburger Umweltsenator warnt in einem Flugblatt vor deren Verzehr.

Seit knapp zehn Jahren bemüht sich Hamburg, verseuchten Hafenschlamm zu verringern und belastete Restmengen an Land zu deponieren. Das kostete bislang über 200 Millionen Mark. „Bremen hat gepennt oder wollte Geld sparen“, lästert man in der Hamburger Umweltbehörde. Bremen kippte zwanzig Jahre lang seinen Dreck aus Bremerhaven in die Nordsee, direkt in den Nationalpark Wattenmeer. Im letzten Jahr hat Niedersachsen, zuständig für diesen Küstenabschnitt, dieses Entsorgungsverfahren den Bremern verboten. Kein Hafenschlamm in Europa enthielt mehr TBT als der aus Bremerhaven. Trotzdem liegt bis heute kein schlüssiges Konzept für eine umweltverträgliche Entsorgung des Schlamms vor. „Wir wollen TBT weiter in der Nordsee verklappen“, sagt hilflos der Bremer Häfensenator Uwe Beckmeyer (SPD).

Das Nachbarland Niedersachsen möchte das auf keinen Fall erlauben, behandelt die Angelegenheit aber diskret. Die Niedersachsen wissen nämlich selbst nicht, wohin mit dem TBT-Schlamm aus den eigenen Küstenhäfen. Und verklappen ihn deshalb teilweise einfach in der Nordsee.