„Rot-Grün ist ein Kulturbruch“

■ Wolfgang Gehrcke, stellvertretender PDS-Fraktionschef im Bundestag, über die rot-grüne Koalitionsvereinbarung und die Oppositionsarbeit der PDS

taz: Rot-Grün an der Regierung und die PDS in der Opposition – das war immer die erklärte Lieblingskonstellation Ihrer Partei. Wie sind Sie denn zufrieden mit der Koalitionsvereinbarung von SPD und Grünen?

Wolfgang Gehrcke: Mit der erklärten Liebe ist es ja immer so eine Sache, wenn sie Wirklichkeit wird. Dann stellt man meistens fest, daß es komplizierter wird, als man sich vorher erträumt hat. Die rot-grüne Koalitionsvereinbarung hat die PDS in ein Wechselbad der Gefühle gestürzt.

Inwiefern?

Es gibt eine ganze Reihe von Punkten, die wir akzeptieren können und die wir unterstützen. Positiv sind das Sofortprogramm zur Schaffung von 100.000 Ausbildungsplätzen, die Rücknahme von Sozialleistungskürzungen, die Aussetzung der Rentenniveaukürzung, das neue Staatsbürgerschaftsrecht, der Ausstieg aus der Atomenergie und ein effektives Gleichstellungsgesetz für Frauen. Doch das Koalitionspapier enthält auch eine Reihe von Enttäuschungen.

Welche meinen Sie?

Die Steuervorschläge von SPD und Grünen sind völlig unzureichend. Sie führen nicht zu einer gerechteren Verteilung des privaten Wohlstands. Und wo Reichtum nicht begrenzt wird, kann man auch Armut nicht bekämpfen.

Was wäre denn gerechter gewesen?

Zum Beispiel die Vermögensteuer wiedereinzuführen. Darauf hat die Schröder-Regierung, entgegen ihrem eigenen Wahlversprechen, verzichtet. Es gibt keinen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. Die soziale Stellung der Erwerbslosen ist in keinem Punkt verbessert worden. Die Diskriminierung gegenüber Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern soll offensichtlich fortgesetzt werden. Was die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit betrifft, sieht es nicht nach einem Neuanfang aus.

Die PDS beansprucht für sich selbst, die Interessen des Ostens am besten zu vertreten. Was sagen Sie zu den Vorschlägen der SPD und den Grünen?

Es reicht nicht, den Osten nur zur Chefsache zu erklären. Damit wird die neue Regierung das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Gefälle zwischen Ost- und Westdeutschland nicht beseitigen: keine spezielle Wirtschaftsförderung Ost, kein Satz zur Bodenreform, kein Bestreben, Eigentumsfragen zugunsten von Ostdeutschen zu klären.

Finden Sie wirklich, daß Rot- Grün keinen politischen Neuanfang darstellt, oder haben Sie nur Schwierigkeiten, das zuzugeben, damit der PDS der politische Gegner nicht abhanden kommt?

Für mich persönlich enthält die Koalitionsvereinbarung von SPD und Grünen viele positive Aspekte. Sie kann, wenn beide Parteien das auch alles umsetzen, zu einem politischen Neuanfang führen.

Andere in unserer Partei sehen das anders. Für sie bedeutet die neue Regierung eher eine Fortsetzung von Kohl mit anderen Mitteln.

Bedeutet Rot-Grün für Sie einen Kulturbruch?

Man muß immer unterscheiden zwischen dem Mythos Rot-Grün und der Realität. Die rot-grüne Wirklichkeit läßt einen nicht gerade in Euphorie verfallen. Aber der Mythos ist in den Köpfen aller politischen Kräfte, auch in denen der rechten, lebendig. Deswegen bedeutet Rot-Grün letztlich doch einen Kulturbruch, ungeachtet des materiellen Gehalts der Vereinbarungen von SPD und Grünen.

Fällt der PDS unter diesen Vorzeichen die Oppositionsarbeit leichter oder schwerer?

Ich glaube im Gegensatz zu anderen in der Partei, daß wir vier ganz schwere Jahre vor uns haben. Wir müssen intelligente Oppositionsarbeit gegenüber der SPD und den Grünen erst noch lernen. Natürlich braucht die Schröder- Regierung Druck von links, damit sie den Konservativen und den Wirtschaftsverbänden nicht nachgibt. Aber es wird nicht ausreichen, wenn die PDS nur querschießt. Wir müssen die Bundesrepublik politisch mitgestalten wollen. Das kann auch heißen, einen vernünftigen Gesetzesvorschlag der rot-grünen Regierung einfach zu unterstützen. Wir sollten nicht den Oberlehrer spielen, der immer nur den Zeigefinger hebt und versucht, alles besser zu wissen. Interview: Jens König