Der Datentransfer ist freie Meinungsäußerung

■ Das drohende Datenembargo der Europäischen Union gegen Washington stößt in den USA auf massives Unverständnis. Denn dort herrschen ganz eigene Vorstellungen von Datenschutz

Washington (taz) – Auf seinem Flug von Atlanta nach New York will Mr. Brown (Name geändert) seine E-Mail durchsehen. Er wählt eine Telefonnummer, gibt die PIN seiner Telefonkarte, dann die seines Internetkontos ein und hört eine Stimme, die ihn daran erinnert, daß morgen sein 25. Hochzeitstag ist. Die Gedächtnisstütze kommt von einem Juwelier, der ihm auch gleich einen Ring anbietet. Möglich werden solche Benachrichtigungen durch riesige Datenbanken und raffinierte Software, die personenbezogene Daten kombinieren, sowie durch den Verkauf solcher Daten an interessierte Dritte. Nichts davon wäre in Europa möglich, und ab dem 25. Oktober droht den Amerikanern ein europäisches Datenembargo. Dann tritt die Europäische Datenschutzverordnung in Kraft, deren Artikel 25 den Transfer von Daten aus Europa in Länder untersagt, in denen kein „ausreichender Datenschutz“ besteht. Müssen jetzt Geschäftsleute auf dem Weg von Frankfurt nach New York damit rechnen, auf dem Flughafen den Laptop öffnen und FileMaker- oder FoxPro-Dateien vorspielen zu müssen?

„Datenschutz und die Sicherung persönlicher Daten werden zu den wichtigsten Fragen des Welthandels werden“, erklärt Marc Rotenberg vom Electric Privacy Information Center bei einer Anhörung im US-Senat im Mai. „Der Handel zwischen Europa und Amerika macht 500 Milliarden Dollar aus, immer mehr davon wird über Datennetze abgewickelt.“ „General Electric will bis zum Jahr 2000 seinen gesamten Einkauf (5 Mrd. Dollar/Jahr) übers Internet abwickeln“, sagt Peter Swire, Autor eines Buchs über „Elektronischen Handel und die Europäische Datenschutzverordnung“. „Datenverkehr ist das Lebensblut trans- und internationaler Unternehmen. Datenschutz unterbricht diesen Strom.“

In Amerika ist der Datenschutz nur sektoral geregelt. „Dort ist Datenschutz ein Flickenteppich aus gesetzlichen Bestimmungen und freiwilligen Selbstauflagen“, erläutert Gerard De Graaf von der Vertretung der EU in Washington. „So kommt es, daß die Kundendaten bei Videoverleih besser geschützt sind als die von Patienten.“ „Zum Datenschutz haben Amerikaner und Europäer verschiedene Einstellungen. Für Europäer ist Datenschutz ein Menschenrecht, für Amerikaner eine Frage des Handelsrechts – sie gehören dem, der sie erhebt“, sagt Solveig Singleton vom Cato Institute in Washington. „Weitergabe von Daten fällt unter das Recht auf freie Meinungsäußerung.“ Allerdings finden 58 Prozent der Amerikaner, daß im Internet erhobene Daten nicht genügend geschützt sind. Peter Tautfest