■ Bündnisgrüne: Fundi und Realo sind überlebte Kategorien
: Regieren jenseits von rechts und links

Geradezu geräuschlos haben die Grünen die letzte Hürde zur Macht genommen. Kein großer Disput mehr über die Kröten, die man bei den Koalitionsverhandlungen schlucken mußte, kein lautstarkes Lamento über unerfüllte Forderungen. Dabei entspricht der mit der SPD ausgehandelte Koalitionsvertrag genau dem Wahlergebnis der beiden Parteien. Er enthält wenig Grünes und viel Sozialdemokratisches.

Trotzdem haben die Bündnisgrünen dieses Ergebnis ohne sichtbaren Widerstand akzeptiert, so als hätte bei ihnen schon immer Otto Schily den Ton angegeben. Selbst im Konflikt um Amt und Mandat der Minister wurde ein Kompromiß gefunden. Mag sein, daß diese Einigung – man schiebt das Problem einfach zwei Jahre auf – faul ist. Interessant ist auf jeden Fall, daß man sich von Flügelspitze zu Flügelspitze auf diese Formel einigte. Von Christian Ströbele bis Daniel Cohn-Bendit reichte das Bündnis, das Joschka Fischer, Jürgen Trittin und Andrea Fischer den letzten Stein aus ihrem Weg ins Ministeramt räumte. Soviel Eintracht war noch nie bei den Grünen.

Diese Eintracht leitet sich nicht allein von der greifbaren Regierungsbeteiligung her. Sie bahnte sich bereits an, als die Grünen sich zum letzten Mal öffentlich zerstritten präsentierten. Auf dem Parteitag in Magdeburg wurde zum letzten Mal ein Konflikt nach klassischem Muster ausgetragen. Bei der Auseinandersetzung um die Kampfeinsätze der Bundeswehr und die Höhe des Benzinpreises wurde das als prinzipiell richtig Erkannte gegen das von der Gesellschaft Gewollte gestellt und auf ein Problem der Vermittlung reduziert. Damals erschreckte die grüne Partei, welche Wirkung ihr Streit in einer Wählerschaft hervorrief, die sich in ihrem Wollen nicht ernst genommen fühlte.

Spätestens seitdem ist gesellschaftliche Akzeptanz eine zentrale Kategorie grüner Politik. Der Kampf um die programmatischen Grundsätze, der die Partei seit ihrer Gründung prägte, hat an Wichtigkeit verloren. Die Zeiten, in der die Werthaltigkeit einer Position als Qualität an sich betrachtet wurde, sind vorbei.

Jahrelang haben die Grünen in dem Widerstreit von links und rechts gelebt. Ob in der Einschätzung der SPD, bei der Haltung zum Staat und dessen Gewaltmonopol, bei der Kontroverse zwischen Pazifisten und Bellizisten – stets rieben sich die inneren Pole der Partei. Und manchmal wurde die Partei zwischen Fundamentalisten und Realpolitikern bis zur Handlungsunfähigkeit aufgerieben.

Dieser Streit ist mittlerweile entleert, dem Fundamentalismus ist in der Regierung das Fundament entzogen. Politik wird künftig in operativen Schritten formuliert. Der Partei fällt die Rolle der reflexiven Begleitung zu. Die Lehre war hart und hat, auch wenn noch genug übrigblieben, Wähler gekostet.

So ist es die gesellschaftliche Akzeptanz, die den Koalitionsvertrag so verträglich macht. Dieser Vertrag ist nicht die Erfüllung der Positionen der beiden Parteien, sondern die Grundlage, auf der sich eine rechnerische Regierungsmehrheit eine gesellschaftliche erarbeiten kann. Dafür haben weder die Sozialdemokraten noch die Grünen fertige Rezepte.

Erst wenn die gesellschaftliche Mehrheit Bestand hat, lohnt es sich für die Partner wieder, um die Anteile daran zu streiten. Solange sind SPD und Bündnisgrüne zum Erfolg verdammt und aneinander gebunden. Die Grünen haben jetzt einen Spatz in der Hand. Den wollen sie päppeln, bis daraus eine Taube geworden ist. Dieter Rulff