■ Morgen läuft das Ultimatum an Milošević ergebnislos ab. Die Drohpolitik des Westens hat im Kosovo in eine Sackgasse geführt
: Die hilflose Nato

Neben vielem anderem bietet auch die Kosovo-Krise Anlaß, an der Kompetenz der journalistischen Zunft zu zweifeln. Milošević habe in seiner Vereinbarung mit Holbrooke vom 12. Oktober den „vollständigen Abzug“ der serbischen Soldaten und Spezialpolizisten aus dem Kosovo zugesagt, wird von den allermeisten Medien (und Politikern) immer wieder verbreitet. In Wirklichkeit wurde lediglich eine Verringerung dieser Repressionskräfte auf den Stand „vor März 98“ vereinbart: bei den Soldaten von rund 16.500 auf 12.000, bei den Spezialpolizisten von etwa 9.500 auf 6.000.

„Die Nato erhöht ihren Druck auf Milošević.“ Wie häufig war diese Floskel zuletzt in den Medien zu hören oder zu lesen – nur weil westliche Politiker glaubten, sie könnten Milošević mit rhetorischen Drohgebärden zu mehr als trickreich verklausulierten verbalen Zugeständnissen veranlassen. Führende Vertreter der Nato pilgerten gleich mehrfach nach Belgrad, um Milošević zu bitten, durch eine fristgemäße Erfüllung seiner Zusagen an Holbrooke dazu beizutragen, daß die westliche Allianz ihre Drohungen nicht wahrmachen muß und dennoch ihr Gesicht wahren kann.

Doch nun naht die Stunde der Wahrheit. Nach langwierigen Beratungen hat der UNO-Sicherheitsrat in der Nacht zum Sonntag eine völlig hilflose Kosovo-Resolution zum geplanten Einsatz von 2.000 OSZE-Beobachtern verabschiedet. So bleibt weiterhin offen, ob und in welchem Umfang die OSZE-Mission zustande kommt und wie wirksam sie vor Ort sein kann. Zudem wird das bereits einmal verlängerte Nato-„Ultimatum“ an Milošević morgen zum zweiten Mal ohne das erhoffte Ergebnis ablaufen.

Die Drohpolitik der Allianz war bislang kontraproduktiv. Innenpolitisch stabilisierte sie Milošević und ermunterte ihn zur Ausschaltung der wenigen verbliebenen unabhängigen Medien. Und bei der Kosovo-Befreiungsarmee bewirkte die Drohpolitik die Illusion, sie könne mit der Provokation bewaffneter Zwischenfälle Nato- Bombardements gegen serbisches Militär erzwingen.

Wie weiter in dieser völlig verfahrenen Situation? Das würden wir jetzt gerne vom taz-Kollegen Erich Rathfelder sowie von den Grünen-Politikern und Professoren Daniel Cohn-Bendit, Micha Brumlik, Hajo Funke u.a. erfahren. All jenen also, die in den letzten Wochen auf dieser Seite die Androhung und Durchführung von Nato-Militärschlägen gegen Serbien unterstützt und die entsprechende Zustimmung des Bundestages, des neuen Außenministers Fischer und der meisten Grünen als Ausdruck realpolitischer Reife der künftigen Regierungspartei sowie der Normalität des neuen Deutschland begrüßt haben. Welchen Ratschlag hätten sie jetzt für die Nato? Soll sie das Ultimatum erneut verlängern? Es aufheben und die mit dem Abzug eines US-Flugzeugträgers aus der Adria bereits reduzierte militärische Drohgebärde völlig aufheben? Oder soll die Nato jetzt endlich zuschlagen und — zumindest kurzfristig – unsere unerträgliche Ohnmacht gegenüber den anhaltenden Gewaltverbrechen der serbischen „Sicherheitskräfte“ im Kosovo verscheuchen?

Was sonst könnten Nato-Luftschläge bewirken? Können sie tatsächlich das von Brumlik/Funke zu Recht konstatierte „absolute Recht auf Leben“ der rund 300.000 Flüchtlinge garantieren? Und damit „einen Bruch internationalen Rechts“ (Brumlik/Funke) „jedenfalls aus moralischen Gründen“ rechtfertigen? Die Befürworter von Nato-Luftschlägen – egal welcher politischen Couleur – haben diese Frage nur unzureichend beantwortet. Das ist ihr Hauptdilemma – jenseits aller völkerrechtlichen Bedenken, pazifistischer Einwände und der Sorge über die Konsequenzen für das Verhältnis zu Rußland.

Was geschieht, wenn Milošević auf die ersten Eskalationsstufen von Nato-Luftschlägen gegen militärische Ziele nicht einlenkt, ja möglicherweise sogar die Gewalt gegen die Albaner noch verschärft? Kann die Nato dann einfach aufhören? Oder muß sie dann zivile Ziele bombardieren?

Vor allem den Nato-Militärs ist dieses Dilemma offensichtlich weit bewußter als Fischer & Co. Ähnliches gilt für die völkerrechtlichen Bedenken. Der Ex-Staatssekretär auf der Hardthöhe und stets Nato- treue CDU-Politiker Willy Wimmer sieht in Nato-Luftschlägen ohne UNO-Mandat einen „Abgrund des internationalen Rechts“ und warnt vor einem „Präzedenzfall, an den wir uns alle demnächst mit Schrecken erinnern werden“. Cohn-Bendit und andere grüne Politiker verharmlosen hingegen diesen Präzedenzfall und beruhigen sich blauäugig damit, daß es bei diesem „einmaligen Notfall“ bleiben wird. Die UNO wird dabei auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen. Der Verweis auf Rußland und China genügt – eine Analyse der nationalen Interessen etwa der USA fehlt, obwohl die Lähmung der UNO ohne diese nicht zu verstehen ist. So preist man die Nato als einzig verbliebene handlungsfähige Institution zur Durchsetzung von Menschenrechten (Cohn-Bendit) und empfiehlt ihr Vorgehen im Kosovo trotz des absehbaren Scheiterns als Modell für andere Konfliktregionen (Rathfelder).

Ob bewußt oder aus fahrlässiger Ignoranz: Wer so redet und schreibt, unterstützt die realen und bereits sehr weit gediehenen Überlegungen sowohl in den USA wie in Teilen der Nato, die UNO künftig völlig aus der Regulierung internationaler Konflikte herauszuhalten. Die westliche Militärallianz soll demnach völlig freie Hand haben, unabhängig von einem UNO- Mandat und je nach Interessenlage ihrer Mitgliedstaaten einzugreifen. Daß es dabei nicht unbedingt um die Durchsetzung von Menschenrechten geht, zeigt ein Blick auf die absehbaren Konfliktregionen der nächsten Jahre – zum Beispiel auf die Kaukasusregion mit ihren riesigen Öl- und Gasvorräten. Um die Ausbeutung dieser Ressourcen und die erforderlichen Transportwege eskaliert derzeit ein Konflikt zwischen Washington und Moskau.

Und es ist durchaus vorstellbar, daß sich in diesem Kontext auch die Frage eines Nato-Einsatzes stellen wird. Auch das erklärt Moskaus Veto gegen ein militärisches Eingreifen der Nato im Kosovo. Ob Rußland hingegen zu einem gemeinsamen Eingreifen unter dem Dach der UNO bereit wäre, wurde vom Westen bislang nicht einmal ernsthaft geprüft. Das endlich auf die Tagesordnung zu setzen, jetzt da die Nato mit ihrem Latein am Ende ist, wäre eine verantwortliche Außenpolitik von Fischer und Co. Andreas Zumach