Der perfekt inszenierte Prozeß

■ Das Kartellverfahren gegen Microsoft geht in die zweite Woche

Washington (taz) – Es ist still wie in einer Kirche, und die Bänke sind auch so hart. Auf die freien Plätze im Gerichtssaal stiehlt man sich so vorsichtig, als würde die geringste Störung eine heilige Handlung unterbrechen. Vorne geht ein Zweizentnermann auf und ab, dessen Stimme seiner Statur gerecht wird. Sie klingt, als donnerte Kies durch ein Förderrohr. Er bleibt schließlich vor einem Tisch stehen und lehnt sich förmlich in das Mikrofon: „Wie viele Betriebssysteme für PCs gibt es eigentlich auf dem Markt“, will John Warden, der Microsoft-Anwalt, wissen, und seine Frage hallt wie aus dem Off.

Auch Jim Barksdale, der Chef des Microsoft-Konkurrenten Netscape, läßt sich Zeit, bevor er antwortet. Die langen Pausen zwischen Frage und Antwort vermitteln den Eindruck äußerster Spannung – als bedeutete ein falsches Wort den Absturz. „Es gibt Hunderte von Betriebssystemen, aber Windows hat sie alle vom Markt verdrängt“, antwortet Barksdale.

Der Prozeß der Bundesregierung und von 20 Bundesstaaten gegen Microsoft geht am heutigen Montag in die zweite Woche. Er wird im gleichen Gebäude verhandelt, in dem vor zwei Monaten Monica Lewinsky aussagen mußte. Es geht darum, ob Microsoft unter Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung von Windows seine Konkurrenten auf dem Markt für Internetbrowser vom Markt gedrängt und damit seine Monopolstellung auf dem Markt für Betriebssysteme ausgenutzt hat – nicht das Monopol an sich ist illegal, sondern dessen Ausnutzung.

Über allem präsidiert Thomas Penfield Jackson, ein Bundesrichter von gravitätischer Statur, dessen puttenhaftes Antlitz Geduld und dessen schlohweißes Haar Weisheit suggerieren. Richter Jackson hat die Spielregeln dieses Kartellverfahrens festgelegt. Jede Seite darf nicht mehr als 12 Zeugen benennen, die – anders als sonst üblich – ihre Aussage schriftlich oder per Video einreichen und daraufhin von der Gegenseite ins Kreuzverhör genommen werden.

Richter Penfield stand das Verfahren gegen IBM als Schreckbild vor Augen. Der Prozeß dauerte 12 Jahre – und wurde dann fallengelassen. Wenn Penfields Spielregeln vor den Revisionsinstanzen bestand haben, dürfte er einen Präzedenzfall für kartellrechtliche Verfahren geschaffen haben, die sich auf diese Weise vergleichsweise schnell durchführen ließen. Dann dürften dem Prozeß gegen Microsoft weitere folgen.

Die Verhandlungen der letzten Woche waren von beiden Parteien meisterhaft inszeniert. Die Staatsanwaltschaft eröffnete mit Auszügen einer Videoaufzeichnung der Vernehmung von Bill Gates und mit auf Monitoren eingeblendeten e-Mail-Botschaften aus dem internen Briefverkehr von Microsoft, die beweisen sollten, daß Microsoft Netscape als gefährlichen Konkurrenten fürchtete und vernichten wollte. Der Anwalt von Microsoft konterte mit dem Vorwurf, die Regierung benehme sich wie die Maschinenstürmer, die den Fortschritt aufhalten wollen. In dieser Woche wird auch ein Vertreter von Apple ins Kreuzverhör genommen. Bill Gates ist als Zeuge bisher noch nicht vorgesehen. Peter Tautfest