Wiens Ex-Bürgermeister unter Spionageverdacht

■ Helmut Zilk soll angeblich für den tschechoslowakischen Geheimdienst gearbeitet haben. Er will nur Leute gekannt haben, „die andere auch kannten“. Václav Havel lädt ihn trozdem aus

Wien (taz) – „Schwachsinnig“ sei der Vorwurf, er habe in den 50er und 60er Jahren für den tschechoslowakischen Geheimdienst spioniert. Helmut Zilk, Ex-Bürgermeister von Wien, hält die Anschuldigungen, die vom Chef der Prager Präsidialkanzlei, Ivan Medek, unter Berufung auf eine „absolut zuverlässige Quelle“ erhoben wurden, für lachhaft. Vielmehr habe er sich für die Kräfte des Prager Frühlings eingesetzt. Tschechiens Präsident Václav Havel hat dennoch vorsichtshalber eine Einladung an Zilk zwecks Verleihung des Masaryk-Ordens am 28. Oktober zurückgezogen.

Helmut Zilk (70), der als eines der Opfer der ersten Briefbombenserie vor fünf Jahren drei Finger verlor, ist nicht auf den Mund gefallen. Bevor er in der SPÖ als Unterrichtsminister und später Bürgermeister der Bundeshauptstadt politische Karriere machte, war er prominenter Talkmaster im Fernsehen. In seiner Sendung „Stadtgespräche“ hatte er 1964 den damaligen Chef des tschechischen Fernsehens, Jiři Pelikan zu Gast. Erstmals wurde offen über die Mißstände der Kommandowirtschaft diskutiert. Pelikan wurde daraufhin abgesetzt und kam erst im Prager Frühling wieder zu Amt und Ehren – bis zum Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes im August 1968.

Danach wurde auf Helmut Zilk ein Agent mit dem Decknamen Karl Weber angesetzt. In dem kürzlich erschienenen Buch „Marschmusik für Glockenspiel“, das die Ereignisse rund um den Einmarsch beschreibt, heißt es, Weber sei vom Geheimdienst der ČSSR angeworben und später von der Stasi geführt worden. Seine Mitschriften über Gespräche mit Zilk sollen Bände im Berliner Stasi-Archiv füllen. Karl Schwarzenberg, der unter der ersten Regierung Havel als Kanzler fungierte, meint, derartige Geheimdienstberichte würden oft unzulässig dramatisiert. Deshalb müsse man sie mit großer Vorsicht behandeln.

Den Vorwurf, eine Zusammenarbeit mit dem tschechoslowakischen Geheimdienst vertraglich besiegelt zu haben, hält Zilk für absurd. In seinen Aussagen gegenüber dem Wiener Kurier von gestern nimmt der Beschuldigte zu seinen umstrittenen Kontakten Stellung: „Ich kannte aus beruflichen Gründen viele, die andere Politiker und Journalisten auch kannten. Den Literaten Jiři Starek, dem ich einmal Geld borgte, den Presseattaché Ladislav Bittermann, der später zu den Amerikanern überlief. Und auch Václav Havel. Unter mir als Unterrichtsminister wurde an der Burg der Dissident Havel gespielt, was andere westliche Theater nicht taten.“

Inzwischen haben sich die Bürgermeister von Prag und Bratislava, wo Zilk Ehrenbürger ist, mit ihrem ehemaligen Amtskollegen solidarisiert. Sie wollen in Tschechien und der Slowakei Aktionen zu seiner Ehrenrettung einleiten. Ralf Leonhard