Auf ihren Sonderparteitagen haben SPD und Bündnisgrüne am Wochenende den Weg für die erste rot-grüne Bundesregierung frei gemacht. Die Zustimmung war bei beiden Parteien einmütig. Morgen soll Gerhard Schröder zum Kanzler gewählt werden. Nac

Auf ihren Sonderparteitagen haben SPD und Bündnisgrüne am Wochenende den Weg für die erste rot-grüne Bundesregierung frei gemacht. Die Zustimmung war bei beiden Parteien einmütig. Morgen soll Gerhard Schröder zum Kanzler gewählt werden. Nach Feiern jedoch war Oskar Lafontaine nicht zumute. Vor unterdrücktem Zorn bebend, polterte der SPD-Vorsitzende in seiner Rede gegen die Medien, aber vor allem gegen das eigene schlechte Image. Und signalisierte in bisher nie gehörter Deutlichkeit, daß der Wahlsieg Schröder zu verdanken sei.

Oskar trommelt für den neuen Kanzler

Was war denn da auf einmal los? Plötzlich drehte der Redner auf. Gereizt, agressiv, mit bissiger Ironie attackierte er die Medien, polterte und polterte und wollte sich 20 Minuten lang überhaupt nicht mehr beruhigen. Sollte das der Vorsitzende einer Partei sein, die vier Wochen zuvor einen überragenden Wahlsieg errungen hatte und nun in aller Ruhe auf ihrem Parteitag über den Koalitionsvertrag abstimmen wollte?

Was der Parteitag der SPD bringen werde? „Akklamation“, sonst nichts, hieß es vor Beginn unter den Delegierten durchaus zufrieden. Schließlich gehören die alten Streitereien vergangenen Tagen an, die SPD hat gelernt, wie sie sich als einige Truppe präsentieren muß, und darüber hinaus ist die Zufriedenheit an der Basis über den Koalitionsvertrag groß; schließlich habe man sich „zu über 90 Prozent gegenüber den Grünen durchgesetzt“.

Trotzdem, Hans Eichel schien es geahnt zu haben: „Kaum sind wir an der Regierung“, sagte der hessische Ministerpräsident als einer der ersten Redner, „fangen wir an zu arbeiten und vergessen darüber das Feiern.“ Und die schlappe Stimme, mit der ein fieberkranker Oskar Lafontaine von einem „historischen Parteitag“ sprach, schien ihn zu bestätigen.

Aber dann kam es erst richtig dick. Feiern? Genau das Gegenteil! Lafontaine legte los, als müßte er eine Wahlschlappe der SPD verteidigen. Wie in den letzten Tagen versucht worden sei, „Zwietracht zwischen mir und dem künftigen Kanzler zu säen“, polterte Lafontaine, sei unsäglich. „Die Kommentare in den Medien“ ätzte er, „sagen etwas über den Reifegrad derjenigen aus, die Kommentare schreiben.“ Wer der Auffassung sei, „daß Zusammenarbeit nur in den Kategorien Eitelkeit, Konkurzenz, hinterhältigem Denken möglich“ sei, den müsse er bedauern.

Zunehmend steigerte sich Lafontaine in seine Wut: Mit Selbstironie, aber vor unterdrücktem Zorn bebend, rief er: „Ich lese, die Steuerreform hat nur einen Autor: den Despoten, der hier vor euch steht. Der die neue Mitte ins Herz trifft. Der sich rücksichtslos gegen die neue Mitte durchgesetzt hat.“ Deutlicher hätte Lafontaine seine Verletztheit nicht machen können. Er spürt, daß er einer Stimmung entgegensteuern muß, die sich in den letzten Wochen zunehmend gegen ihn gewandt hat, was auch bei der Begrüßung auf dem Parteitag zu spüren war. Brausender Applaus, als Gerhard Schröder präsentiert wurde. Deutlich abfallender Jubel bei Lafontaine, der bei Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering wieder anschwoll. Nicht nur die Medien, auch die Genossen machen in erster Linie Lafontaine für die Personalquerelen um Rudolf Scharping und Jost Stollmann sowie die Kritik an der Steuerreform verantwortlich. Unvergeßlich die Abstrafung von der Fraktion, nachdem Rudolf Scharping als Fraktionsvorsitzender abgesägt worden war. Schon murren einige in der Fraktion, es sei Zeit, daß sich Lafontaine in Zukunft mehr zurückhalte. Genervt von dem tatsächlichen oder nur aufgebauschten Richtungsstreit, hoffen sie, daß etwas dran ist an den Vermutungen, Lafontaine wolle in absehbarer Zeit Chef der EU-Kommission werden.

Lafontaine hat daraus offenbar Konsequenzen gezogen. Vielleicht wird es von diesem Parteitag einmal heißen, von diesem Tag an sei Lafontaine hinter Schröder zurückgetreten. Denn in nie zuvor gehörter Deutlichkeit stellte Lafontaine Schröder heraus und sich selbst zurück. Mehrfach wandte er sich persönlich an Schröder, drehte sich zu ihm hin und signalisierte durch seine Abkehr vom Rednerpult, daß nun bitte schön langanhaltend geklatscht werden solle. „Mit deinem Namen“, rief er Schröder zu, „bleibt dieser historische Wahlsieg verbunden.“ Und unmißverständlich stellte er klar: „Der Erfolg der Regierung steht und fällt mit Gerhard Schröder.“

Das mag selbstverständlich klingen, aber nicht jeder bei der SPD glaubte bisher, daß Lafontaine dies wirklich verinnerlicht hatte. Noch vor wenigen Tagen äußerte Rudolf Scharping die Vermutung, daß Lafontaine ihn deshalb als Fraktionsvorsitzender weg haben wollte, weil er, Scharping, zu sehr hinter Schröder stehe. Lafontaine legte sich gestern ins Zeug, daß nichts, aber auch gar nichts von diesem Verdacht übrig bleibt. Ausdrücklich lobte er Schröder sogar dafür, die ökologische Steuerreform so durchgesetzt zu haben, daß die Einkommensschwachen nicht belastet würden.

Hat Lafontaine umgedacht, oder haben die Medien letzte Woche wieder alles falsch verstanden? Nach den Verhandlungen über die Ökosteuer hatte es noch so ausgesehen, als sei Lafontaine über die Festlegung Schröders auf eine maximale Benzinpreiserhöhung von sechs Pfennig verärgert gewesen. „Sie wissen ja“, sagte er, „daß sich Ministerpräsident Schröder für sechs Pfennig ausgesprochen hat. Das haben wir eingebaut.“ Außerdem betonte er, daß sich Schröder nur für einen „überschaubaren Zeitpunkt“ festgelegt habe. Dieser hatte das so nie gesagt.

Am Sonntag aber konnte Schröder mit Lafontaine zufrieden sein. Stehend applaudierte er dem Mann, mit dem ihm nach eigener Aussage eine „Vernunftehe“ verbindet. In einem Interview mit dem Spiegel hatte er zuvor seine Richtlinienkompetenz betont. „Ich könnte keinem raten, das in Frage zu stellen“, drohte er. „Die Reihenfolge, also auch die Nummer eins, ist von den Wählerinnen und Wählern entschieden worden.“ In seiner Rede ging Schröder kaum auf seinen Vorredner ein, rief ihm nur einmal zu: „Lieber Oskar, laß sie bellen, die Karawane zieht weiter.“ Gut gebrüllt hatte zum selben Tag Forsa-Chef Wolfgang Güllner, der als Schröder- Freund gilt, in der Bild am Sonntag. Rechtzeitig zum Parteitag veröffentlichte er eine Umfrage, wonach die überwiegende Mehrheit der Deutschen der Meinung ist, daß die SPD Schröder den Wahlsieg zu verdanken hat. Güllners Schlußfolgerung: „Wenn die SPD an der Macht bleiben will, muß sie sich hinter Schröder scharen.“ Markus Franz, Bonn