Abnicken, runterwürgen, weglächeln!

■ Einiger geht's nimmer: Grüne wie rote Parteitagsdelegierte billigen alle Wünsche ihrer Führer. Grüne Konflikte um Trennung von Amt und Mandat leichten Herzens ins nächste Jahrtausend vertagt. Schröfontaine wie ein Mann

Bonn (taz) – Die von der Führungsspitze immer wieder beschworene Geschlossenheit von Bündnis 90/ Die Grünen wurde am Wochenende auf der Bundesversammlung Wirklichkeit: Mit der überwältigenden Mehrheit von 750 zu 40 stimmten die Delegierten in Bonn dem Koalitionsvertrag mit der SPD zu. Selbst Proteste von Parteivertretern, die durch die Besetzung der grünen Ministerämter mit zwei Männern und nur einer Frau die Frauenquote verletzt sahen, wirkten sich nicht auf das Abstimmungsergebnis aus.

Bereits im Vorfeld war durch einen strömungsübergreifenden Antrag ein Konflikt über die Trennung von Amt und Mandat entschärft worden. Die künftigen bündnisgrünen Regierungsmitglieder dürfen zunächst ihre Bundestagsmandate behalten. Die Fraktion soll eine Gesetzesnovelle auf den Weg bringen, wonach künftig in allen Parteien das Bundestagsmandat von Ministern und parlamentarischen Staatssekretären ruhen soll.

Ohne Überraschungen verlief gestern dann auch die Klausursitzung der bündnisgrünen Bundestagsfraktion. Rezzo Schlauch wurde als ihr neuer Sprecher gewählt, seine Kollegin Kerstin Müller wurde in ihrem Amt bestätigt. Neue parlamentarische Geschäftsführerin ist Kristin Heyne. Ihr Vorgänger Werner Schulz, der mit seinem Wunsch nach dem Amt des Fraktionssprechers bereits in einer Vorabstimmung gescheitert war, gab auf der Sitzung eine persönliche Stellungnahme ab, in der er ein „Repräsentationsdefizit Ost“ in Partei und Fraktion beklagt. Schulz wird nun wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion.

Die Fraktion beschloß außerdem, Antje Vollmer erneut für das Amt der Bundestagsvizepräsidentin zu nominieren. Neu gegliedert und besetzt wurden die Arbeitskreise, deren Zahl von fünf auf vier geschrumpft ist: Finanzen/ Wirtschaft wurde mit Arbeit/Soziales zusammengelegt. Ein Grund dafür ist der geschrumpfte Fraktionsetat. Die Grünen müssen auf eine bisher gezahlte Zulage verzichten, die den strukturellen Mangel der Opposition gegenüber der Regierung ausgleichen soll.

Noch einmütiger als die Grünen billigten gestern die Sozialdemokraten auf einem Sonderparteitag die Koalitionsvereinbarung. Nach nur vierstündiger Beratung votierte lediglich einer der über 500 Delegierten gegen den Vertrag, drei enthielten sich. Kritik kam vor allem von den Jusos, die den Verzicht auf die Ausbildungsabgabe bemängelten. Andere Redner sagten, die Zusagen für kleinere und mittlere Unternehmen seien zu allgemein. Es müsse weitere steuerliche Hilfen für den Mittelstand geben.

Einigkeit demonstrierten auch der künftige Kanzler Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine. Der SPD-Chef sagte, er werde wie im Wahlkampf Schulter an Schulter mit Schröder zusammenarbeiten. Zugleich betonte er aber, daß die erste und letzte Entscheidung im Kabinett beim Kanzler liege. Überraschend schlug Lafontaine vor, darüber nachzudenken, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung über die Steuer zu finanzieren, um so die Lohnnebenkosten zu senken. Bettina Gaus

Tagesthema

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