Schwule müssen gut sein

■ Am Donnerstag schimpft der Berliner Schwulenaktivist Eike Stedefeldt auf Einladung der Initiative „Suspekt“ über die um sich greifende Angepaßtheit der Schwulenszene

Bremen, Juni 1994: Die Homosexuellencommunity streitet. Die Veranstalter des Christopher Street Days wollen Fun, Jux, Karneval. Die andere Seite möchte Täfelchen gen Himmel recken zum Beispiel mit der Aufschrift „Freiheit für RAF-Häftlinge“. Kurzerhand ließen die rabiat lachwütigen Veranstalter den Umzugswagen der Initiative „Suspekt“ von der Polizei stoppen. Homos hetzten die Polizei auf andersdenkende Homos – was sie anschließend natürlich bereut haben.

Der 1963 in Magdeburg geborene, jetzt in Berlin als freier Journalist lebende Eike Stedefeldt erinnert an diese Gnadenlosigkeit in seinem neuen Buch „Schwule Macht“. Es dient ihm als Musterbeispiel für die nicht nur von ihm konstatierte wachsende Unsolidarität und Unpolitizität der Szene.

Was dürfen Schwule? Also zunächst einmal: Sie dürfen schwul-sein, spätesten seit Abschaffung des Paragraphen 175 im Jahr 1994. Aber, das ist die knifflige Frage, dürfen sie auch windige Yuppies sein, denen nichts wichtiger ist als Karriere und Armanihemd? Oder Offiziere, die Waffen supergeil finden und/oder (grün naiv?) hoffen, händchenhaltend mit der UNO Somalia, Ruanda, Bosnien oder den Kosovo zu befrieden und Leben zu retten? Noch radikaler gefragt: Haben Schwule das Recht, in Freude zu verblöden, indem sie sich die Birne auf Partys zuwummern, bis im cerebralen Matsch kein fester politischer Standpunkt mehr zu orten ist? Dürfen sie sich flüchten in eine spießigfeige Eiapopeia-Zweierbeziehung à la „Konrad und Paul“? Zusammenfassend: Dürfen Schwule durchschnittliche Arschlöcher sein? Dürfen Sie sich nach bitteren Jahrhunderten des Ausgestoßenseins freudig in die lockenden Arme der Freizeit- und Konsumgesellschaft schmeißen?

Je nun, die Kerle fragen erst gar nicht; sie tun's einfach, – allein schon um dem alten Adorno Recht zu geben: Es gibt kein richtiges Leben im falschen, auch nicht im schwulen.

Stedefeldts Zustimmung zu diesem Arschlochdasein allerdings, die bleibt ihnen bitterlich versagt. Wer das ungeheuerliche, wunderbare Privileg genoß, als unfreiwilliger Outcast Standhaftigkeit und Selbstbewußtsein unter Höllenqualen zu erlernen, der hat gefälligst auch in allen anderen Lebensbereichen gut und stark zu sein. Im Gegensatz zu den laschen, teigigen, angepaßten Heteros, wo es solche und solche gibt, hat jeder schwule Mann möglichst ausnahmslos pazifistisch, antirassistisch, antibürgerlich und sozialistisch zu sein. Unterleib verpflichtet: Er nimmt das Hirn in eine Art Gesinnungshaft. Irgendwie muß man Stedefeldt verstehen: Schließlich hätte es jeder gerne, selbst Heteros, daß diejenigen, die man liebt, einigermaßen okay sind.

„Schwule Macht“ will die Veränderungen in der Schwulenszene seit der Wiedervereinigung nicht dokumentieren, sondern mit Hohn und Spott strafen – und, logische Konsequenz, sich selbst mit tiefer Melancholie.

Er klagt über rechtsradikale Umtriebe in der S/M-Szene; er kritisiert (wohl zurecht), daß bei den Kölner Schwulen- und Lesbentagen nur kommerzielle Kneipenwirte einen Stand genehmigt bekommen, nicht aber die AIDS-Hilfe: Bitte lächeln, unbedingt, denn Freude macht zwar nicht frei, aber sympathisch und gesellschaftsfähig.

Er stöhnt über das Verkommen der schwul-lesbischen Presse zu hochglänzenden Anzeigenblättern voller pfundiger Feierabendtips. Er haßt den Wessi Volker Beck, der den Ostdeutschen Schwulendachverband SVD okkupierte und umkrempelte zu einem gesamtdeutschen Kampfverband für das angepaßte Integrationsmodell der Grünen.

Außerdem wettert Stedefeldt gegen den Völklinger Kreis, der als schwule Seilschaft gegründet wurde mit dem Ziel, Toppositionen der Wirtschaft abzugreifen. Ein schwuler Apple-Manager etwa posed in der „Wirtschaftswoche“, statt auf der Seite der Armen und Geknechteten zu kämpfen.

Selbst Charlotte von Mahlsdorf muß sich einer ideologiekritischen Analyse unterziehen lassen. Entsetzliches Ergebnis: sie ist nicht PC; aber welcher Dummsuff hätte das auch von ihr erwartet?

Natürlich hat einer, der sukzessive seine politische Heimat zu verlieren droht, alles Recht dieser Welt, zu jammern und zu klagen. Und so ist Stedefeldts Buch ein traurigschönes Dokument der sogenannten „Normalisierung“ des Schwulseins – und ihrer Kosten für manchen Einzelnen. Die politische Heimat aber kann er wiederfinden, vielleicht bei Greenpeace, Amnesty International oder der PDS. Vielen Heteros hatten Demotäfelchen wie „Schwule gegen Atomkraft“ oder „Schwule gegen Rechts“ sowieso seit jeher kaum mehr eingeleuchtet als „Rothaarige gegen Kinderpornos“ oder „Klarinettenspieler gegen Gentechnik“. Denn im Bett hat nicht nur der Staat, sondern vielleicht auch die Politik nicht viel zu suchen.

In Stedefeldts Buch kommen übrigens auch zwei taz-Autoren vor. taz-Mag-Redakteur Jan Feddersen steht für die miese Fun-Fraktion, Wahrheitsseitenbestücker Elmar Kraushaar für die Politischen.

Barbara Kern

29.10, Siewallhaus, Siewall 28: Eike Stedefeldt liest aus „Schwule Macht oder Die Emanzipation von der Emanzipation“. 1998. Elefanten Press. 29.90 DM