Wie hat New York das bloß geschafft?

■ Vor ihrem gestrigen Abflug in die USA erläuterte die Berliner Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) ihre Erwartungen an diese Erkundungsreise. Speziell von ihrem Aufenthalt in New York erhofft

taz: Frau Fugmann-Heesing, wenn Berliner Politiker nach New York fahren, stehen bedenkliche Projekte an. Innensenator Jörg Schönbohm kam im vergangenen Jahr von seiner New-York-Reise mit der Botschaft „Null Toleranz“ gegen Kriminalität zurück. Werden Sie bei Ihrer Rückkehr aus New York eine Politik der „Null Toleranz“ in Haushaltsfragen im Gepäck haben?

Annette Fugmann-Heesing: Nein, das ist ja auch nicht der Ansatz, um den es in der Finanzpolitik geht. New York hat aus einem extremen Haushaltsdefizit in den achtziger Jahren mit einem neuen Politikansatz versucht, Ausgaben und Einnahmen in ein ausgewogeneres Verhältnis zu bringen. Ich höre von vielen, die New York in der letzten Zeit besucht haben, daß sich die Stadt wesentlich verändert hat. Die Stadt macht einen sehr viel attraktiveren Eindruck. Und der erste Schritt war eine Konsolidierung der finanziellen Situation.

Ist New York in dieser Hinsicht überhaupt mit Berlin vergleichbar?

New York hat – insofern gibt es durchaus Vergleiche zu Berlin – während der Reagan-Administration erlebt, daß die Bundesfinanzierungsanteile dramatisch zurückgeschnitten worden sind. Ich will erfahren, wie New York es geschafft hat, die Veränderungen im Budget nicht nur aufzufangen, sondern so zu gestalten, daß heute vieles besser zu sein scheint, als es früher war.

Der neue Politikansatz, von dem Sie sprechen, bestand unter anderem darin, öffentliche Ausgaben drastisch zu kürzen, öffentliche Aufgaben zu privatisieren und die finanziellen Mittel auf die „Headquarter-Ökonomie“ zu konzentrieren. Die Folgen davon waren wachsende Armut und Stadtflucht. Ist das tatsächlich ein Modell für Berlin?

Ich rede ja nicht von einem Modell, sondern ich will Erfahrungen austauschen. Die Finanzpolitik hier in Berlin muß öffentliche Mittel konzentriert einsetzen und politische Prioritäten setzen. Und sie muß dies so tun, daß negative soziale Folgen vermieden werden. Ich will wissen, mit welchen Schritten man in New York gute und mit welchen man schlechte Erfahrungen gemacht hat. Mich interessiert, wie Budgetkürzungen vorbereitet und politisch begleitet wurden.

Der Arbeitstitel Ihres Gesprächs mit der ehemaligen Stadtkämmerin New Yorks, Carol O'Cleireacain, lautet „Haushaltskonsolidierung und Akzeptanz“. Wollen Sie in Berlin tatsächlich Akzeptanz für eine solche Politik schaffen? Oder wollen Sie in New York auch lernen, wie eine Kritik an dieser Politik entkräftet wird?

Die Entkräftung von Kritik bedeutet ja Akzeptanz. Die Aufgabe von Politik ist es, notwendige Veränderungen auch dann in Angriff zu nehmen, wenn sie zunächst umstritten sind. Für den Erfolg ist allerdings entscheidend, daß die Bürger von der Erforderlichkeit und Richtigkeit der Entscheidung überzeugt werden können.

Ein wesentlicher Bestandteil Ihrer Politik und auch der Politik in New York ist die Privatisierung öffentlichen Vermögens und öffentlicher Aufgaben. Wie weit können Sie sich eine Politik der Privatisierung vorstellen? Befürworten Sie auch eine Privatisierung von Ordnungsaufgaben oder etwa Aufgaben der Justiz, wie es ähnlich auch in New York geschieht?

Es ist ja gerade der Sinn eines solchen Austauschs zu sehen, wo es positive Aspekte gibt und wo es politische Ansichten gibt, die man nicht teilt.

Ich halte zum Beispiel nichts von einer Privatisierung der Justiz, das ist eine hoheitliche Aufgabe. Die Frage des Betriebs von Gefängnissen ist eine andere Fragestellung. Wenn ein privater Betreiber etwa billiger und besser kochen kann als die öffentliche Hand, dann soll er das tun. Justizpersonal aber, das Hoheitsrechte ausübt, könnte und sollte nicht vollständig gegen privates Personal ausgetauscht werden, da muß es weiterhin staatliche Einflußmöglichkeiten geben, das ist völlig klar.

Wo ist bei so weitgehenden finanz- und stadtpolitischen Vorstellungen vom Rückzug des Staates aus den Aufgaben noch der Unterschied zu neoliberaler Politik, die Ihnen vorgeworfen wird? Sehen Sie sich selbst als Neoliberale?

Freiheit und Toleranz gehören zu meinem Weltbild, allerdings gepaart mit sozialer Verantwortung. Die Rolle des Staates muß eine aktive bleiben. Ich lehne die Haltung der FDP ab, die sagt einerseits Privatisierung und andererseits Rückzug des Staates aus seiner Ordnungsfunktion, etwa durch Abbau staatlicher Regularien im Bereich des Stromsektors. Ich sage etwas völlig anderes. Ich sage Rückzug aus der Eigentümerfunktion, weil der Staat ein schlechterer Unternehmer ist als ein Privater. Aber ich befürworte die Schärfung der ordnungsrechtlichen Instrumente.

Sie gehen also davon aus, daß auch in Zeiten der Globalisierung der staatliche Steuerungsbedarf steigt?

Ja.

Kann dieser Steuerungsbedarf denn dann allein eine Angelegenheit ordnungsrechtlicher Instrumente sein? Gerade die Konzentration sozialer Probleme in den Innenstadtbezirken, die ja nicht nur US-amerikanische Städte betrifft, sondern zunehmend auch deutsche Großstädte wie Berlin, erfordert doch auch eine sozialpolitische Intervention?

Völlig unbestritten. Sozialpolitische Intervention, da, wo es nötig ist. Und differenziert. Ich behaupte ja, daß der Staat nur richtig und ausreichend intervenieren kann, wenn wir auch wieder bereit sind, zwei Dinge zu sehen. Erstens: Sozialpolitische Intervention ist nicht für alle erforderlich. Zweitens: Intervention kann keine Einbahnstraße sein. In unserem Gesellschaftsverständnis müssen wir wieder stärker darauf setzen, daß auch der Staat etwas von seinen Bürgern fordern kann. Und sei es nur das Engagement im eigenen Umfeld, im schulischen Bereich, in der Kita. Ich glaube, daß viele der Probleme, die wir heute haben, auch darauf zurückzuführen sind, daß wir den Bürger in eine reine Konsumentenhaltung haben fallen lassen.

Neben dem Vorwurf des Neoliberalismus bekommen Sie insbesondere von Ihrem Koalitionspartner CDU immer wieder zu hören, Sie betrieben Sparpolitik nach dem Rasenmäherprinzip. Sie selbst haben aber mehrfach betont, daß es Ihnen gerade auf eine Konzentration der Mittel ankomme und nicht auf den Rasenmäher. Wollen Sie sich mit Ihrer USA- Reise nun über die Finanzpolitik hinaus profilieren, etwa in der Wirtschaftspolitik?

Meine Gesprächspartnerin in New York hat vor kurzem in einem Aufsatz formuliert, daß die Gesundheit des öffentlichen Sektors von der Gesundheit des privaten Sektors abhängig sei. Im Klartext heißt das: Sie können einen Haushalt nur nachhaltig konsolidieren, wenn die wirtschaftlichen Grunddaten in der Stadt stimmen.

Was heißt das im Klartext für Berlin?

In Berlin waren wir gerade einmal wieder das Schlußlicht der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland. Deshalb ist es vordringliche Aufgabe des Senats, eine konsequente Wirtschaftspolitik zu betreiben, die Arbeitsplätze in der Stadt schafft, die hohe Arbeitslosigkeit abbaut und damit auch wieder zu höheren Steuereinnahmen führt.

Ist die Wirtschaft Berlins tatsächlich mit der in New York vergleichbar, wo ein Großteil der Finanzjobs direkt mit dem Weltmarkt verknüpft sind?

Da ist Berlin heute mit New York sicherlich nicht vergleichbar. Wir haben ja eine wirtschaftliche Situation in der Stadt, die noch sehr stark von der Situation vor 1990 geprägt ist. Um so mehr müssen wir jetzt unser Augenmerk darauf richten, daß diese Stadt wieder attraktiv für Investoren wird und auch wieder für die Konzernzentralen.

Das ist als Zielsetzung ja nichts Neues. Worin liegen die Unterschiede Ihrer Politik im Gegensatz zu anderen Politikern, dieses Ziel zu erreichen?

Ich bin der Überzeugung, wir müssen weniger in Beton und mehr in Prozesse investieren. Unsere Potentiale haben wir noch lange nicht voll erschlossen. Allein die Tatsache, daß trotz der breiten Wissenschafts- und Forschungslandschaft in dieser Stadt Bayern rund dreimal so viele Patente wie Berlin bezogen auf die Bevölkerungszahl hervorbringt, ist beschämend. Und Berlin muß sich als Standort für internationale Investoren profilieren und die Chancen der Osterweiterung nutzen.

Interview: Barbara Junge und Uwe Rada