In Zitate zerbrechen

■ Im Tränenpalast demonstrierte John Lurie die Abkehr vom Fashionismus früherer Tage

Vorgestern hatten die achtziger Jahre ein Gastspiel in Berlin. Denn daß die Lounge Lizards, und insbesondere ihr Bandleader und -macher John Lurie, Relikte des vergangenen Jahrzehnts seien, konnte man zumindest in der Programmpresse genauso häufig lesen wie detaillierte Beschreibungen von Luries Erscheinung. Die Musik wurde kaum erwähnt.

Der Schuldige dafür ist Lurie selbst. Lurie nämlich war es, der gegen Ende der achtziger Jahre als Schauspieler, Model und Musiker im Vordergrund stand, während die Band zunehmend zweitrangig wurde. Die großartige Band mit Roy Nathanson, Marc Ribot und anderen zerbrach, und die „Live in Berlin“-Alben sowie der zugehörige Konzertfilm aus den frühen Neunzigern belegen, daß es Lurie und den Nachfolgern eher um die Präsentation eines coolen Anzugs oder einer coolen Geste zu schaffen war als um die Entfaltung ihrer musikalischen Möglichkeiten. John Lurie schien musikalisch am Ende, konnte man da von Jazzethik bis Spex lesen, und die Kulturjournaille glaubte wie immer sich selbst.

Das hatte für Lurie nicht nur die zu verschmerzende Folge, daß sein Grammy für den Soundtrack zum Film „Get Shorty“ kaum wahrgenommen wurde, nein, die neueste Platte seiner Lounge Lizards, „Queen of all ears“, wollten weder die großen noch die kleinen Label der Welt veröffentlichen. Lurie sah sich gezwungen, mit großem finanziellem Risiko ein eigenes Label zu gründen.

Doch wie das Konzert vorgestern beweisen konnte, treten die Lounge Lizards nicht mehr im stylischen Off auf der Stelle. Im Gegenteil, mehr noch als auf der Platte zeigen sich die Lounge Lizards disparat, die Songs zerbrechen in einzelne Zitate und Fragmente, die rauh nebeneinander gestellt werden. Und werden allerdings dann doch miteinander musikalisch versöhnt. Lurie mag nicht den John Zorn geben beziehungsweise kann dessen radikale Cut- up-Attitüde nur freundlich parodieren. Dennoch zeigte sich gerade am harten Pianospiel Evan Luries, daß der harmoniebedürftige Fashionismus der letzten Jahre den Lounge Lizards nicht mehr zum Manko werden soll. Selbst auf die klassischen, überkitschigen Konsensstücke à la „It could have been very very beautiful“ wurde verzichtet.

Was man sehen konnte, war eine Band, die bei aller Führung durch ihren Trainer Lurie und bei aller Durchkomponiertheit der Songs zu viel interessanteren Ergebnissen kommt als der weiße Jazz eines Dave Brubeck. Die Lounge Lizards 1998 sind nicht unbedingt in der vordersten Liga der musikalischen Entwicklung, doch ihre Montage- und Zitiermethode ist weiterhin mitreißend. Darüber hinaus schaffen es die Lounge Lizards heute noch, den Saal mit ihrem Jazz zum Tanzen zu bringen. Allerdings fehlten diejenigen, die der Sound der Salonlöwen nicht geprägt hat, fast vollständig.

Eine Jazzveranstaltung ohne die pfeiferauchenden alten Säcke, aber auch ein Popkonzert ohne Nachwuchs. Da blieb man irgendwie blöd unter sich, was schade ist. Aber vielleicht hat sich in den jüngeren Kreisen auch noch nicht herumgesprochen, daß 45 Mark für zweieinhalb Stunden hervorragende Leistung nicht zuviel Geld sind, zumal, wenn man sie an den gängigen Bierpreisen mißt. Jörg Sundermeier