Die Urszene des Söldnertums

Noch immer führen Spuren bis zum Dayton-Abkommen: Mit umfänglichen Ausstellungen feiern Münster und Osnabrück 350 Jahre Ende des Dreißigjährigen Krieges  ■ Von Christian Semler

„Maikäfer, flieg/ Dein Vater ist im Krieg/ Deine Mutter ist in Pommerland/ Pommerland ist abgebrannt/ Maikäfer flieg!“ So sangen wir Kinder nach dem Zweiten Weltkrieg. Und wirklich: das Land hinter dem Meer war verwüstet – zum zweiten Mal in der deutschen Geschichte nach dem 30jährigen Krieg. Über die Generationen hinweg hatte sich die Erinnerung an diese erste Katastrophe im kollektiven Gedächtnis festgekrallt, war dann verblaßt, um wiederaufzuerstehen, als Elend und Tod, die vom deutschen Boden ausgegangen waren, 1945 wieder in ihr Ursprungsland zurückkehrten. Um mit der Zeit erneut aus dem Gedächtnis zu schwinden und dann wieder aufzutauchen, als der Krieg nach Europa zurückkam, nach Jugoslawien.

Vom Dreißigjährigen Krieg als aktueller Zustandsbeschreibung hörte ich 1992 in Belgrad, bei einer Diskussion mit den Kollegen Pasić und Cerović von der oppositionellen Zeitschrift Vreme. „Wir sind mittendrin im Dreißigjährigen Krieg“, sagten die beiden, „Kriegsunternehmer durchziehen mit ihren Söldnerhaufen das Land, Militärmachthaber steigen kometenhaft auf und verschwinden binnen Monatsfrist, Vergewaltigung und Mord selbst zwischen Nachbarn, das Land wird unbewohnbar. Und der Krieg wird dauern, bis er dahin zurückkehrt, von wo er ausgegangen ist. Nach Belgrad.“

Heute wissen wir, daß dank der allzu späten Intervention westlicher Mächte, vor allem der USA, dieser Krieg doch nicht dreißig Jahre gedauert hat. Das internationale Friedensabkommen von Dayton ist ebenso lückenhaft wie zerbrechlich, aber es öffnet den Weg zur schrittweisen Herstellung humaner Verhältnisse. Das ist die Folie, auf der die Feiern zum 350. Jahrestag des Westfälischen Friedens sich abspielen.

Dieser erste große internationale Friedensschluß der Neuzeit hatte in der nationalistisch geprägten deutschen Geschichtsschreibung lange Zeit die Note „mangelhaft“ erhalten. Von der Zementierung der Kleinstaaterei war die Rede, vom fortdauernden Einfluß fremder Mächte auf die Geschicke des Reichs. Mit dieser das Bismarck-Reich glorifizierenden Sicht der Dinge hat die Geschichtswissenschaft mittlerweile gründlich aufgeräumt. Was früher als Mangel galt, gilt heute als Vorgriff auf den modernen, friedensstiftenden, föderativen Verfassungsstaat. Vor allem aber wird der internationale Charakter des Friedensschlusses umgewertet. Er vor allem habe langdauernden Frieden gebracht. Solche Argumente treffen den Kern unseres Verfassungsverständnisses – und unseres Lebensgefühls. Sie prägten auch das Geschichtsbild der Wissenschaftler und Museumsleute, die an den Orten des Westfälischen Friedens die dreigeteilte Ausstellung „1648 – Krieg und Frieden in Europa“ veranstalteten.

Diese Ausstellungen erweisen sich als über die Maßen geglücktes Unternehmen. Die Organisatoren schafften es, eine riesige Sammlung aller damals kriegsbeteiligten Länder zusammenzutragen, darunter Werke, die noch nie in Museen gezeigt wurden. Die Arbeiten sind so plaziert bzw. gehängt, daß man nie von der schieren Masse des Materials niedergedrückt wird. Die erklärenden Tafeln und Übersichten vermeiden jede Pädagogisierung, hüten sich vor oberflächlichen Analogien zur Gegenwart. Dennoch folgt der Aufbau der Ausstellungen unserem Erkenntnisinteresse, indem er frühe Formen jetzt dominierender Verhaltensweisen aufzeigt. Zum Beispiel die systematische Kriegspropaganda in Flugschriften und Darstellungen, wie sie von Gustav Adolfs Armee meisterhaft beherrscht wurde, die Ideologisierung des Krieges und seine Totalisierung. Billige, der „Erlebnis“- Kultur entlehnte Inszenierungstricks wurden dabei vermieden.

Vom Aufbau her etwas konventionell geraten ist die der Ereignisgeschichte gewidmete, chronologisch vorgehende Ausstellung im Osnabrücker Kulturgeschichtlichen Museum. Hier folgt Schlacht auf Schlacht, die dynastischen Beziehungen, die „großen Männer“, die Militär- und Diplomatiegeschichte dominieren. Ganz anders die Ausstellung im nahe gelegenen Dominikanerkloster, die von den Glaubenskämpfen handelt. Ins Längsschiff wurde hier ein zweites, orangefarben gehaltenes Schiff eingebaut, mit stark abgeflachten, unterbrochenen Bögen, so daß die Kirchendecke gut sichtbar bleibt. An den beiden Schmalseiten der Konstruktion hängen Wandteppiche aus der Werkstatt von Rubens, auf einer ist ein zu Boden geworfener, etwas fett geratener Mönch zu sehen – Martin Luther. Die Thematik spannt sich von platter Agitation – ein Mönch faßt einer Jungfrau an den Busen – bis zur Darstellung komplexer religiöser Dispute, um in der Schilderung der holländischen Rhetorikgesellschaften, wo religiöse Toleranz eingeübt wurde, einen versöhnlichen, in humanere Zeiten hinüberreichenden Abschluß zu finden.

Glanzstück und Kern des Unternehmens bildet die Ausstellung im Münsteraner Westfälischen Landesmuseum. In drei um einen Lichthof laufenden Stockwerken werden Vorgeschichte, Verlauf und das so mühselige Ende des Krieges nach Sachzusammenhängen dargeboten. Wir entdecken unbekannte Zusammenhänge, vergessene Regionen. Wo hat man bei uns schon mal Originaldrucke des großen polnischen Humanisten Kochanowsk gesehen?

Die Darstellung der „Dramatis Personae“, gleichzeitig eine Versammlung großer Meister des 17. Jahrhunderts, findet im Lichthof des Museumsgebäudes statt. Die Ausstellungsmacher haben eine wirklich spektakuläre Rotunde aufgebaut, die die gesamte Fläche einnimmt. Innen imitierten sie bis zur Höhe des ersten Stockwerks eine Verkleidung mit kleinen Kupferplatten, die bis zum zweiten Stock mit vertikalen Glasplatten verlängert wird.

An der „Kupferwand“ hängen die Bildnisse der monarchischen Protagonisten des Krieges, darunter das berühmte ganzfigurige Staatsporträt des Kardinals Richelieu in einer sonst den Königen vorbehaltenen Haltung, ein Werk des französischen Hofmalers Philippe de Champaigne. Sich gegenüberliegend in der Mitte der Rotunde wurden zwei der gefeierten Papst-Büsten Berninis ausgestellt. Dem betont zurückhaltenden Gestus des von Velazquez porträtierten Habsburgers Ferdinand III. kontrastiert der triumphalistische Stil Champaignes, der den Anspruch des französischen Königs Ludwig XIII. auf europäische Geltung unterstreicht.

Die Rückseite der Rotunde ist in voller Höhe in schmucklosem Weiß gehalten. Wie um die Kehrseite fürstlicher Selbstdarstellung zu zeigen, sind auf ihr Zitate der großen deutschen Barockdichter angebracht. Eine unaufdringliche, aber desto nachdrücklichere Korrektur an der Dominanz der großen Kriegs- und Weltenlenker, die mit einer umfangreichen Dokumentation von Büchern und Autographen der „Friedensdichter“ erweitert und vertieft wird.

In den Ausstellungen von Münster und Osnabrück sind Dutzende Gemälde vertreten, die die wichtigsten Schlachten des Krieges festhalten. Deren bloße Entzifferung stellt uns Heutige, denen es an elementarer Kenntnis des modernen wie erst recht des frühneuzeitlichen Kriegshandwerks gebricht, vor ganz unlösbare Aufgaben. Wo spielt sich was ab? Dankenswerterweise nehmen uns die Ausstellungsmacher ab und zu beim Händchen, machen uns, beispielsweise bei Snayers monumentaler Schlacht auf dem „Weißen Berg“, auf ein wichtiges Detail aufmerksam: einen winzigkleinen Mönch, der dem Feind ein Kreuz entgegenhält. Das Original des Kreuzes findet sich neben dem Bild. Aber der Betrachter erfreut sich doch mehr an zufälligen Entdeckungen, z. B. an einem kackenden Kleinkind, das auf seine Weise den Abzug der geschlagenen spanischen Truppen aus dem besetzten ś Hertogenbosch in Pawel van Hillegerts Gemälde kommentiert.

In der Ausstellung fehlt es nicht an Kriegswerkzeugen aller Art, aber wir werden nicht, nach der Art kriegshistorischer Museen, mit der schieren, todbringenden Masse bombardiert. Eine riesige, bemalte Trommel unterrichtet uns darüber, daß der Artillerie der Takt für den Einsatz der Geschütze vorgegeben wurde. Eine Kriegskasse, versehen mit zehn Riegeln, bildet die militärische Hierarchie ab, auf dem Deckel sieht man den Regimentsinhaber mit Pagen und Leibgardisten. Wir sehen spanische Kupfermünzen, mehrfach überstempelt, um sie im Wert zu erhöhen – ein Zeichen, daß die riesenhaften Silbervorräte, die den spanischen Habsburgern die Kriege an allen Fronten finanzierten, zur Neige gingen.

In früheren militärischen Auseinandersetzungen beendeten fehlende Finanzen und Mangel an Soldateska in der Regel den Krieg. Jetzt war beides schier unerschöpflich vorhanden: Vertriebene, Entlassene, Bitterarme aus fast ganz Europa. Eine Radierung von 1632 zeigt uns die Ankunft irischen Kriegsvolks, anspruchslose, leicht ausbildbare, dabei fromme Burschen, wie wir unterrichtet werden. Sie hatten nichts zu gewinnen bei einem Friedensschluß und verhielten sich entsprechend.

Zu den eindrucksvollsten Darbietungen der Ausstellung in Münster gehören die beiden den Schrecken des Krieges gewidmeten Säle. Die winzigkleinen Radierungen aus Jacques Callots „Les Miseres et les Maleurs de la Guerre“ von 1633 mit dem für die Kriegsgreuel geradezu emblematischen „Galgenbaum“ finden sich hier ebenso wie die Militärszenen aus Hans Ulrich Francks „Kriegsfolge“, unglaublich eindringliche Arbeiten, deren Wirkung vom Grauen vor der mörderischen Aktion herrührt. In dieser Abteilung finden sich Meisterwerke, die die Schrecken des Krieges nur indirekt, nur im biblischen Gleichnis zeigen, wie George de la Tour in seinem großem „Hiob und seine Frau“. Daneben aber haben die Ausstellungsmacher Votivtäfelchen aus Niederbayern zusammengetragen, die die ewig gleiche Geschichte von der Errettung aus der Hand der Peiniger erzählen.

Mit schweren Beinen, aber bewegt verläßt man Museum, Stadt und Region. Um bei der Rückfahrt nach Berlin leise, damit der Nachbar nicht gestört wird, einen Vers aus dem großen Schlußchoral der „Mutter Courage“ zu singen: Mit seinem Glück, seiner Gefahre/der Krieg, er zieht sich etwas hin/Der Krieg, er dauert hundert Jahre/Der gmeine Mann hat keinń Gewinn.

Bis 17.1., Stadtmuseum und Westfälisches Landesmuseum Münster sowie Dominikanerkirche und Kulturgeschichtliches Museum Osnabrück. Katalog: drei Bände 198 DM (Bildband: 48 DM)