Schluß mit der Frau als ewigem Opfer

Der frauenpolitische Teil des Koalitionsvertrags weist einige neue Ansätze auf: Weg vom Opferdasein, Gleichstellung auch in der Privatwirtschaft, die Hälfte der Lehrstellen für Mädchen. Die Koalitionsfrauen sind zufrieden  ■ Von Ute Scheub

Berlin (taz) – Nein, die Bundesrepublik wird nicht per Grundgesetzänderung in ein Matriarchat verwandelt. Nein, es wird kein Ministerium für Männer und andere Minoritäten geben, in dem die Einhaltung der Männerquoten überwacht wird. Der Paradigmenwechsel findet auch unter einer rot-grünen Regierung nicht statt. Das war unter den Vierschrödrigen – Schröder und Lafontaine, Fischer und Trittin – auch nicht zu erwarten. Dennoch: „Neuer Aufbruch für die Frauenpolitik“ nennt sich der knapp anderthalb Seiten füllende frauenpolitische Teil im vierzigseitigen Koalitionsvertrag. Die Frauen, die daran beteiligt waren, zeigen sich allesamt zufrieden mit dem Ergebnis.

„Das ist eine gute Arbeitsgrundlage und entspricht auch den Wahlkampfversprechungen“, befindet zum Beispiel die Politikerin, welche die Vorhaben hauptverantwortlich umzusetzen hat, die Bundesministerin für Frauen, Familie, Jugend und Senioren, Christine Bergmann (SPD). „Unsere Wählerinnen warten ja alle darauf, daß Frauenpolitik überhaupt wieder stattfindet und Frauen in der Politik wieder vorkommen“, sagt sie. Vermutlich trifft sie damit einen Nerv. Schließlich waren es die Frauen, die Kohl und seine Tante Nolte in den Orkus der Geschichte gejagt hatten: Die älteren Frauen waren der CDU scharenweise Richtung SPD davongelaufen, die jüngeren hatten überdurchschnittlich oft Grün gewählt.

Ein Gefühl von „Aufbruch“ verspürt auch Ulla Schmidt, frauenpolitische Sprecherin der SPD- Bundestagsfraktion. Sie könne sich „an keinen Koalitionsvertrag mit soviel frauenpolitischen Akzenten erinnern“. Der im Vertrag gesetzte Schwerpunkt auf der „eigenständigen Existenzsicherung für Frauen“ und ihrer „gleichberechtigten Teilhabe“ im gesellschaftlichen Leben ermögliche es Frauen, „auf eigenen Beinen zu gehen“. Das sei ein Abschied von der Vorstellung der Frau als ewigem Opfer und „als schützenswertem Wesen in artgerechter Tierhaltung“. Bei den Verhandlungen der rot-grünen Frauen habe es „98 Prozent Übereinstimmung“ gegeben, wozu die Überzeugung gehöre, daß eine Frau in der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Rentenpolitik „nicht länger als abgeleitete Familienfrau“ zu behandeln sei – ein deutlicher Traditionsbruch zur Kohlära. „Zufrieden“ sind auch die beiden frauenpolitischen Sprecherinnen der bündnisgrünen Fraktion, Irmingard Schewe-Gerigk und Rita Griesshaber. Schwierigkeiten habe es nur bei Punkten gegeben, die mit dem zukünftigen SPD-Innenminister Otto Schily hätten geklärt werden müssen.

Was sieht der Koalitionsvertrag im einzelnen für die Frauen vor? „Die Gleichstellung von Frauen in Arbeit und Gesellschaft“ wird als eines von 14 gemeinsamen Zielen in der Präambel genannt. Danach aber werden die Vorhaben nach den traditionellen Prioritäten Wirtschaft und Finanzen abgehandelt, in denen die Geschlechterfrage ebenso traditionell keine Rolle spielt. Ein schwerwiegender Fehler, begangen aus falscher Rücksicht auf Traditionalisten und männliche Vollzeitarbeiter. Denn das Zeitalter von Globalisierung und Computerisierung macht eine radikale Neuaufteilung der Arbeit unumgänglich – sowohl der bezahlten wie der unbezahlten. Darüber aber ist kein Wort zu lesen, zwischen den Zeilen röchelt noch die Hoffnung auf eine Wiederkehr der Vollbeschäftigung.

Bessere Chancen in Lehre und Forschung

Erfreuliches liest man hingegen im Kapitel Innovation und Bildung: „Wir wollen die rahmen- und förderungsrechtlichen Bestimmungen so gestalten, daß Frauen in Lehre und Forschung bessere Chancen eingeräumt werden, gegebenenfalls auch durch Unterstützung einer europäischen Frauenuniversität.“ Der Frauenquote soll mit neuen Methoden auf die Sprünge geholfen werden: „Erfolge in der Förderung von Wissenschaftlerinnen werden wir zu einem Kriterium bei der Finanzzuweisung machen.“ Im Kapitel „Reform der Alterssicherung“ wird dem weiblichen Geschlecht ebenfalls einiges versprochen: „Eigenständige Alterssicherung der Frau, dabei auch Rente nach Mindesteinkommen, Reform der Hinterbliebenenversorgung, Prüfung der rentenrechtlichen Absicherung von Teilzeitarbeit.“

Neue Töne sind auch im Kapitel „Sichere Zukunft für die Familien“ zu vernehmen: „Familie wird heute in vielfältiger Form gelebt. Familie ist, wo Kinder sind. Wir respektieren dies und werden für die Gleichstellung der Familienformen sorgen... Für uns haben alle Formen von auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaften Anspruch auf Schutz und Rechtssicherheit.“ Unter anderem soll die Kinderbetreuung verbessert und der Erziehungsurlaub zu einem Elternurlaub umgewandelt werden, der beiden Eltern „zeitlich flexible Kombinationen der Erwerbs- und Familienarbeit“ erlaubt.

Im Kapitel „Neuer Aufbruch für die Frauenpolitik“ verspricht die rot-grüne Bundesregierung, „die Gleichstellung von Mann und Frau wieder zu einem großen gesellschaftlichen Reformprojekt“ zu machen. Die neue Bundesregierung, so heißt es dort weiter, werde Anfang 1999 ein Aktionsprogramm „Frau und Beruf“ starten. Die wichtigsten neuen Akzente: Ein effektives Gleichstellungsgesetz, das auch für die Privatwirtschaft verbindliche Regelungen vorsieht – zum Beispiel, indem Frauenförderpläne in Betrieben gesetzlich vorgeschrieben oder öffentliche Aufträge vorrangig an frauenfreundliche Unternehmen vergeben werden.

Ebenfalls neu: Mädchen sollen grundsätzlich die Hälfte aller Ausbildungsplätze erhalten. Hier müsse noch viel getan werden, damit sich Mädchen in männertypischen Berufen bewerben, kommentierte Christine Bergmann. Außerdem sollen Existenzgründerinnen besser gefördert und Frauen in der aktiven Arbeitsförderung endlich gemäß ihrem Anteil an den Erwerbslosen berücksichtigt werden.

Weiterhin will man einen „Nationalen Aktionsplan“ auflegen, um Gewalt gegen Frauen vorzubeugen. Auch hier gibt es eine Akzentverschiebung: Männliche Schläger sollen nicht länger ungeschoren davonkommen, während ihre Frauen und Kinder in überfüllten Frauenhäusern hocken. Letztere sollen in den Genuß der „vereinfachten Wohnungszuweisung“ kommen, erstere sollen im Rahmen eines Berliner Modellprojekts ab Anfang nächsten Jahres zu sozialen Trainingskursen verpflichtet werden.

Außerdem vorgesehen ist „gegebenfalls“ ein Abschiebeschutz für die Zeuginnen in Verfahren gegen Frauenhändler sowie ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für ausländische EhegattInnen nach zwei Jahren Wartefrist – beides steht schon lange auf der Forderungsliste von Menschenrechtsgruppen. Die Verhandlerinnen hatten sich sogar schon auf eine bessere Version geeinigt, aber da mochte der zukünftige Innenminister Schily nicht mitmachen.

Alles in allem ein ansehnliches Programm. Doch was die Repräsentanz von Frauen auf hohen Posten anbelangt, sind die Frauen wesentlich unzufriedener. „Es könnten noch mehr Ministerinnen sein“, sagt Christine Bergmann. „Aber fünf Frauen in der Regierung“, schiebt sie schnell hinterher, „das gab's noch nie.“ Ihre Parteifreundin Ulla Schmidt sieht es ähnlich: „In der Geschichte der Bundesrepublik gab es überhaupt erst 15 Ministerinnen.“

Ihre Kollegin Christel Hanewinckel, die bei der Kandidatur um das Amt des Bundestagspräsidenten mit Wolfgang Thierse konkurrieren mußte und verlor, fordert knapp: „Bei der nächsten Runde müssen es mehr sein.“ Zum Teil hätten die Frauen selbst keine Führungsposten übernehmen wollen, weil sie sich nicht verschleißen wollten. Sie könne das nicht verstehen: „Politik an sich ist nicht menschenfeindlich – sie wird immer von Menschen gemacht. Und je mehr Frauen in Leitungsfunktionen sind, desto schneller ändert sich der Politikstil.“