Zwei Kisten Zigarren für den Kanzler

Der Tag der Kanzlerwahl: Wer Gerhard Schröder gratulierte, wo sich seine Frau Doris die Haare schneiden ließ, was Helmut Kohl aus seinem Büro mitnahm und warum sich die SPD-Fraktion wirklich freute  ■ Aus Bonn Markus Franz

Der Tag der Kanzlerwahl hatte gegen 9 Uhr symbolträchtig angefangen. Die Ehefrau von Ministerpräsident Gerhard Schröder, Doris Schröder-Köpf, ging zum Intercoiffeur Bachem in der Bonner Weberstraße Nr. 1. Eben jenem Friseur, der schon Loki Schmidt frisiert hatte, die Frau des letzten SPD-Kanzlers. Und tatsächlich, wenig später stand fest: Doris Schröder-Köpf ist ab nun Frau Bundeskanzler. Wo ist das Halstuch von Frau Schröder?, fragten sich die Beobachter, als die künftige First Lady gegen 11 Uhr auf der Zuschauertribüne Platz nahm.

Am Morgen beim Friseur hatte sie noch wie gewohnt ein Halstuch umgehabt, und Beobachter des Bonner Hofes raunten, daß sich das Stück Stoff zu ihrem Markenzeichen entwickeln könnte. Hatte es der Kanzlermachercoiffeur etwa als Souvenir behalten? War das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Um 11.56 Uhr waren all diese Fragen Makulatur. Da löste sich die Spannung, da jubelten sie in den Reihen der SPD auf und machten mit einem Mal den Komplex vergessen, nicht richtig feiern zu können. Gerhard Schröder war zum Bundeskanzler gewählt worden, mit 351 und damit sechs Stimmen mehr als Rot-Grün ingesamt. 287 Abgeordneten votierten gegen ihn, 27 enthielten sich, und lediglich einer von insgesamt 666 gab einen ungültigen Wahlzettel ab.

Auf den Zuschauerrängen freuten sich Scorpions-Sänger Klaus Meine und Frau, die als einzige von Schröder zwei Tribünenkarten bekommen hatten. Und eine gute Bekannte Schröders schwärmte: „Ach ist das schön. Wenn ich daran denke, wie Gerhard noch Juso- Vorsitzender war.“

Nur zwei behielten in all dem Trubel ihre Ruhe. Gerhard Schröder, der einige Sekunden lang auf seinem Platz verharrte, und der ehemalige Fraktionschef Rudolf Scharping, der gelassen wie ein Kapitän auf der Brücke stand.

Doch dann konnte Schröder der Gratulationstour nicht mehr ausweichen, die über manche Befindlichkeiten Aufschluß gab. Eine herzliche Umarmung mit Oskar Lafontaine. Ein trockener Händedruck von Franz Müntefering. Ein Küßchen von Heide Simonis. Jürgen Trittin rüttelte bedenklich hart an Schröders Schulter und kam ihm mit dem Kopf gefährlich nahe. Ein kurzes Shakehands mit Ingrid Matthäus-Maier. Eine innige Umarmung mit Hans-Ulrich Klose. Ein flüchtiger Händedruck mit Herta Däubler-Gmelin. Eine lebhafte Umarmung mit Kerstin Müller. Und Scharping? Er hatte schon vor der offiziellen Bekanntgabe des Ergebnisses kurz gratuliert. Schröder kam vor lauter Danksagungen gar nicht dazu, die beiden Geschenke auszupacken, die vor ihm lagen: Das eine eine Kiste Zigarren von Oskar Lafontaine. Das andere, von den Grünen, ebenfalls eine Kiste Zigarren.

„Wir hatten uns nicht abgesprochen“, sagte Kerstin Müller entschuldigend. Auch die CDU- Granden traten brav zum Gratulieren an. Der Bundeskanzler a.D., Helmut Kohl, bot seinem Nachfolger an, ihm bei Fragen mit Rat zur Seite zu stehen. Hätte das Schröders Ehefrau nur schon am Tag zuvor gewußt. Denn als Schröder vorgestern das Kanzleramt betrat, war zwar zu seiner Überraschung des Kanzlers Aquarium noch da, aber nicht mehr dessen Schreibtisch. Kohl verschenkt das Aquarium an einen Bundesgrenzschutzbeamten, der 16 Jahre lang die Fische gefüttert hatte. Den Schreibtisch aber nahm er mit. Doris Schröder-Köpf, die sich in Bonn noch nicht richtig auskennt, mußte nun sehen, wo sie einen neuen Schreibtisch herbekam. Ein Schröder-Vertrauter wunderte sich: Schröder müsse seinen Schreibtisch in Niedersachsen ja auch dalassen, weil er Landeseigentum sei. Die neue Regierung will aber nicht kleinlich sein: So darf Kohl etwa seinen Dienstwagen behalten.

Am Vorabend hatte die Union ihre neue Rolle einüben dürfen. Zusammen mit der SPD, PDS und Grünen hatte die FDP gegen eine von der CDU beantragte Änderung der Geschäftsordnung gestimmt. Daran erinnerte in der gestrigen SPD-Fraktionssitzung der neue Fraktionsvorsitzende Peter Struck. „Denkt dran: Um 17.22 Uhr haben die ihre erste Abstimmungsniederlage erhalten.“ Und das, sagte er unter dem Jubel der Abgeordneten, „wird künftig so weitergehen“.