Suche nach dem guten Feindbild

■ Auch nach dem Rauswurf von Max Cavalera weisen Sepultura ganz p.c. mit Gerechtigkeits-Core auf die Probleme der Welt hin

Nicht, daß Sepultura nichts mit blonden Frauen am Hut haben dürften. Doch im Rahmen der Bandgeschichte darf man das Plakatmotiv, welches seit einigen Wochen für das diesjährige Konzert der Brasilianer wirbt, zu Recht als fragwürdig bezeichnen. Lockt da doch ein überdimensionales Mädchen-Modell mit transparenter Strickweste zum 90minütigen Metal-Mosh. Und präsentiert wird das Ganze dann auch noch vom Popsender MTV.

Solche Taktlosigkeiten wären vor ein paar Jahren nicht möglich gewesen. Schließlich sind Sepultura bislang alles andere als „Schwanz-Rocker“ gewesen. Auf ihren ersten drei Studioalben pöbelten sich die Brüder Max und Igor Cavalera sowie Andreas Kisser und Paolo Pinto Jr. als blasphemische Horror-Brut gegen Kirche und Katholizismus tief in die Metal-Szene hinein. Mit Beneath The Remains und Arise durchlebten sie danach ihre notwendige Initiation in Sachen Songwriting und Produktion, und nicht wenige prophezeiten dem Quartett eine goldene Zukunft als die moderneren Slayer.

Sepultura wählten zwar deren Erfolg, verweigerten sich aber ansonsten konsequent dem piefigen Trash Metal von Annodazumal. Vorbei die Zeiten der literarischen Blutbäder, fortan widmeten sich die südamerikanischen Vorzeige-Metaller ihrer eigenen Sache, und die hieß Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln. Chaos A.D. und vor allem Roots suchten ihr Heil in der Verbindung aus politisch korrektem Retro-Crustcore und weltmusikalischen Tribal-Einlagen.

Einmal mehr mußte die Idee vom bedrohten Ureinwohner Brasiliens herhalten, um gegen die drohende Übermacht von Polizeistaat und Großkapital zu wettern. Wie sehr dieses Konzept ein Kopfprodukt von Max Cavalera war, zeigte sich, als es im letzten Jahr zu eklatanten Auseinandersetzungen zwischen Sänger und dem Rest der Band kam. Max wollte hauptberuflich Gutes tun, die anderen drei mehr Metal machen. Die Folge: Dreadlock-Fan Cavalera mußte gehen und und hauchte seinem Öko-Metal-Projekt Soulfly ein trotziges Leben ein.

Doch im Grunde machen auch Sepultura nichts anderes. Auf ihrem neuen Album Against brüllt jetzt ein Hüne namens Derrick Greene für ein „Leben in Liebe und Integrität“, und als Musik brummt weiterhin der bandtypische und mittlerweile sauteure Gerechtigkeits-Core aus den Boxen. Zugegeben, eine recht bequeme Art, im nachhinein auf die Probleme der Welt aufmerksam zu machen. Aber so funktionieren weite Teile des Metal nun mal. Eine vage Anti-Kultur, die sich zu- allererst über ihre Gegner konstituiert und erst dann versucht, Eigenes auf die Beine zu stellen, wenn die Fronten bereits geklärt sind. Früher hieß Sepulturas Feind Jesus Christus, heute Hungersnot, und morgen? Wahrscheinlich Internet, künstliche Intelligenz oder Gen-Technik. Doch keine Bange: Sepultura werden sich, wie immer, für das Richtige entscheiden und das, wie immer, zu spät.

Oliver Rohlf mit Keilerkopf: Sa, 31. Oktober, 20 Uhr, Docks