Schönheit vom Land

■ Miles und Slut tragen endlich Würzburg und Ingolstadt in die Pophistorie ein

Lehrreich ist die Beschäftigung mit Indie-Rock aus Deutschland – man lernt viel über deutsche Geographie. Während in den Metropolen mit Sprache, Sound und Szenen herumexperimentiert wird, verlegt man sich in der Provinz lieber darauf, den englischen und amerikanischen Vorbildern nachzueifern, zumeist im englischsprachigen Gesang. Erste Manifestationen dieses Phänomens wurden Ende der Achtziger auf dem Sampler The Sound & Fury gesammelt. Damals galt es, Orte wie Waltrop (Big Store) oder Bad Beverungen (Glitterhouse) auf der Landkarte zu finden.

Mit Miles und Slut kommen nun zwei Bands auf Konzertbesuch, die aus bayerischen Städten stammen, von denen in der Pophistorie bisher noch nicht die Rede war: Würzburg und Ingolstadt. Tobias Kuhn, der Sänger und Hauptsongwriter von Miles, spricht von den Vorteilen der Abgeschiedenheit von den Zentren der Musikindustrie und -presse: „Man hat mehr Zeit, sich zu entwickeln. Wir waren früher auch noch nicht reif gewesen für diese Platte." Diese Platte, das ist The Day I Vanished, das zweite Album der Band und das erste auf dem Major-Label V2, obwohl die vier Musiker schon seit 1991 zusammen spielen.

„Add our music to your day" singen Miles – und diesem Rat kann getrost Folge geleistet werden. In den Klang einer klassischen Indie-Rockband, die mit den Pixies oder Sonic Youth aufgewachsen ist, mischen die Franken euphorische Pop-Refrains, die klassisch genannt werden dürfen. Kuhn, eingefleischter Leser der englischen Weeklies, forschte den Bands nach, deren Namen Teenage Fanclub oder Primal Scream in Interviews droppten: Big Star, Zombies oder auch Buffalo Springfield. Das Ergebnis hört sich auch im Radio gut an: „Seit ein paar Wochen höre ich oft Bayern 3, denn da läuft manchmal unser Song Pretty Day", erzählt Kuhn.

Wie das Album von Miles wurde auch Interference von Slut im Weilheimer U-Phon-Studio aufgenommen. Überhaupt sind wir bei den Audi-Städtern nahe dran an Hausmusik, Kollaps und Payola: Gitarrist Rainer Schaller ist mit der Kollaps-Band Pelzig das eigene Vorprogramm. Und in den melancholischen Rocksongs von Slut sind Anklänge an die Wegbereiter der derzeitigen Indie-Rock-Hausse, The Notwist, zu hören: eine ähnliche Unaufgeregtheit im Songaufbau, eine änliche Nonchalance im Gesang. Aber Bands, die so gute Songs wie den letztjährigen Mini-Hit „Sensation" schreiben, kann es gar nicht genug geben.

Sicher hat auch Tobias Kuhn kürzlich im englischen NME die Geschichte über indie-sozialisierte Musiker aus Deutschland gelesen, die sich der elektronischen Musik-erzeugung zugewandt haben. Zwar fallen weder Miles noch Slut so richtig in diese wenig originell mit „New Krautrock" beschriftete Schublade, doch vielleicht werden die Briten ja auch auf diese herausragenden Bands aus der deutschen Indie-Rock-Provinz aufmerksam. Und suchen dann Würzburg oder Ingolstadt auf der Landkarte.

Felix Bayer Slut, Pelzig: Mo, 2. November, 21 Uhr, Molotow. Miles: Do, 5. November, 22 Uhr, Golden Pudel