Die Abgründe der Zivilisation

■ Macht und Machtmißbrauch der Bilder: Das Metropolis zeigt eine Reihe zum Thema Film im Dritten Reich mit Arbeiten von Luis Trenker, Max Ophüls und Leni Riefenstahl

Der Mann aus den Bergen in den Hochhausschluchten New Yorks. Orientierungslos, hungrig, einsam – so irrt Luis Trenker durch seinen Film Der Verlorene Sohn aus dem Jahr 1934. Die Kamera begleitet ihn dabei aus bizarren Unterperspektiven, und im Hintergrund ragen die Wolkenkratzer wie Matterhörner in den Himmel. Bezwingen freilich kann sie der in die Abgründe der Zivilisation abgestürzte Klettermaxe nicht.

Der Verlorne Sohn ist zweifellos einer der sonderbarsten Filme, die im „Dritten Reich“ entstanden sind. Von seiner düsteren Direktheit ließen sich einige Jahre später die Regisseure des italienischen Neorealismus beeinflussen, gleichzeitig konnten ihn die Nationalsozialisten problemlos eingemeiden. Einen enormen ideologischen Mehrwert lieferte die Geschichte des Entwurzelten, der vor die Hunde geht, als er der Heimat den Rücken kehrt und wieder auflebt, als er in sie zurückkehrt.

Der Verlorene Sohn läuft jetzt – wie auch Trenkers Der Berg ruft – im Metropolis im Rahmen der Reihe „Film im Dritten Reich“. Kein zweites Mal wurde eine nationale Filmindustrie dermaßen gleichgeschaltet wie im Deutschland des Nationalsozialismus'. Schon im März 1933, sechs Wochen nach der Machtergreifung, richtete Joseph Goebbels sich sein Propagandaministerium ein; ein paar Wochen später spricht er im Berliner Hotel Kaiserhof vor Filmschaffenden und konstatiert eine Kinokrise – der deutsche Film soll „von der Wurzel aus“ reformiert werden und „völkische Konturen“ erhalten.

Was das genau heißen sollte, wurde schon ein halbes Jahr darauf mit dem astrein linientreuen Hitlerjungen Quex demonstriert. Die Einsetzung eines „Reichsfilmdramaturgen“ im Jahr 1934, der alle Drehbücher darauf prüfte, daß die empfindsame deutsche Seele an ihnen keinen Schaden nehme, und die anschließende Novellierung des Reichslichtspielgesetztes, durch das die Filmzensur zentralistisch von Berlin aus gelenkt werden konnte, taten ein übriges.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der große Max Ophüls seinen letzten Film in Deutschland schon gedreht. Der trug den Titel Lachende Erben, und Heinz Rühmann gießt sich darin als junger Erbe einer Sektfabrik ganz schön einen hinter die Binde. Eine höchst elegante, aber harmlose Komödie. Die Nazi allerdings deuteten hemmungslosen Alkoholkonsum dennoch als Angriff auf die Volksgesundheit – sie verboten den Film 1937.

Ein Schicksal, das Reinhold Schünzel und seiner schon mal ins Boulevardeske kippenden Operette Amphitryon von 1935 erspart geblieben ist, obwohl sich auch hier die eine oder andere Respektlosigkeit eingeschlichen hat. Der Untertitel des Werks etwa, Aus den Wolken kommt das Glück, ist eine ironische Grußadresse an Leni Riefenstahl und die erste Sequenz ihres im gleichen Jahr entstandenen Parteitagsspektakel Triumph des Willens. In einer geschlossenen Veranstaltung wird auch dieser Film noch einmal zu sichten sein, der wie kein zweiter von der Macht und dem Machtmißbrauch der Bilder erzählt.

Christian Buß

Der Verlorene Sohn: Mo, 2. November, 19 Uhr. Der Berg ruft: Di, 3. November, 17 Uhr. Lachende Erben: Mo, 9. November, 19 Uhr. Wenn wir alle Engel wären: Mi, 12. November, 17 Uhr. Triumph des Willens (geschlossene Veranstaltung): Mo, 16. November, 17 Uhr. Amphitryon: Mo, 23. November, 19 Uhr, Metropolis