■ Bei Ministers zu Haus (8) – die Heime unserer neuen Regierung
: Geheime Speckstulle

„Toi toi toi!“ ruft seine bessere Hälfte. „Und husch! Ab in den Keller! Dir stehen harte Wochen bevor. Du hast eine schwere Aufgabe zu erfüllen.“

Walter Riester murmelt kurz in seinen nur sonntags genehmigten Dreitagebart, streicht sich über die markante Igelfrisur, legt die Küchenschürze ab und erklärt ungefragt: „,Hier kocht Vati!‘ Das stimmt gar nicht. Ich bin eine Null in der Küche. Es herrscht Arbeitsteilung. Meine Frau regiert, ich steh' stumm daneben. Mal einen Teller wegräumen, mal eine Zwiebel aus dem Eisfach fischen, mehr ist nicht drin. Deshalb ist Entspannung besonders wichtig für mich.“ Wir wissen wenig von ihm. Riester hatte sich beim Briefing in dichte Rauchwolken voller Rätsel gehüllt. Er sei bereit, alles zu zeigen. Worauf wir uns einstellen müßten, wollte er nicht preisgeben.

Riester tapert durchs braun- weiß geflieste Wohnzimmer. Frisch abgebeizte Bauernschränke dominieren das herbstlichtdurchflutete Ambiente. Irgendwo miaut eine Katze. „Stören Sie sich nicht an dem Vieh. Die will fressen. Immerzu nur fressen.“ Er wirkt verzweifelt, zieht kurz die linke Augenbraue hoch. „Kriegt den Wanst nicht voll genug.“ Das sagt jemand, der ausgemergelt ist wie seit Leo Tolstoi kein zweiter Arbeiterführer. In der Küche klappern Töpfe, Friteusen zischen höllenfroh. „Ihr Hobby. Sie hat mittlerweile sieben.“

Vor einer resopalbeschichteten Trennwand zwischen Besenschrank und Cocktailbar bleiben wir stehen. Riester schiebt sie mit sicherem Griff zur Seite. „Folgen Sie mir. Es geht steil bergab.“

Seine schweren Bauarbeiterschuhe schaluppen auf den steinernen Stufen. Nach wenigen Schritten sind wir da. Spinnweben zusseln quer im Raum. Knarzend öffnet sich wie von Zauberhand eine massive Panzerstahltür. „Lichtschranke“, lächelt Riester verknuselt. „Hirnspiegelung. Der Detektor“, er deutet zur Decke, „erfaßt die Struktur meines Gangliengewölls, und dann öffnet sich die Tür wie von Zauberhand.“

Versonnen und fast verzaubert überschreiten wir die Schwelle. Glühbirnen glimmen glommrig. Plötzlich duckt sich der neue Minister für Arbeit und Soziales, taucht scharf links weg, und mit einem Mal ist der Verschlag grell erleuchtet. Fanfarenstöße schallen aus allen Ecken. Chöre heben an. Kakophonisch knallt in die Internationale das Lied von der Partei. Riester dirigiert. „Zentralschalter, hehe“, geckert der einst mächtige Mann der größten Einzelgewerkschaft der Welt diabolisch. „Treten Sie näher. Hieran arbeite ich seit fünfeinhalb Jahren.“ Zwei bläulich glänzende Pappmachébürotürme thronen auf einem riesigen Tisch. Zangen, Draht, Bindfaden, Nägel, Klebstoffe, Wolle, Sägen und Hunderte winzige Modellmännchen liegen unsortiert herum. Aus einer Schublade nimmt Riester eine Speckstulle, beißt forsch zu und fährt fort. Bröckchen fliegen hackgerade.

„Die IGM-Zentrale in Frankfurt-Niederrad. 1:25-Nachbau. Hier“, wir gehen zum linken Tower, der seitlich aufgeschnitten ist, „gammeln die Nichtsnutze und Saftsäcke. Zur Cafeteria ist's nicht weit. Säufer allesamt, Abteilung Dokumentation. Drei von ihnen hab' ich noch persönlich gefeuert. Die anderen“, er zeigt aufs Nebengebäude, „halten sich vornehmlich dort auf. Oben Zwickel, die Zecke, gleich darunter die Mischpoche der Grundsatzabteilung. Gehälter oberstes Managerniveau. Freunde der Basis. Behaupten sie. Die müßte man...“ Riester greift unter den Tisch, holt ein zigarettengroßes grünes Röllchen hervor, streicht den Docht glatt, legt es in den 18. Stock und angelt nach einer Schachtel Streichhölzer.

Gut, daß dieser Mann seinen „Ausgleich“ hat. Es stünde sonst schlecht um unser Land. Jürgen Roth