Pinochet-Haftbefehl aufgehoben

■ Richter bestätigen Immunität vor britischen Gerichten. Ex-Diktator bleibt vorläufig unter Arrest. Staatsanwaltschaft kündigt Einspruch an. Spanien entscheidet heute über Auslieferungsantrag

London (AFP/taz) – Das Hohe Gericht in London hat gestern die Festnahme des chilenischen Ex- Diktators Augusto Pinochet für illegal erklärt. Der Vorsitzende Richter Lord Bingham entschied, daß dem 82jährigen „als ehemaligem Landesherrn Immunität vor kriminellen und zivilen Prozessen an englischen Gerichten“ zustehe.

Er folgte damit der Argumentation von Pinochets Anwälten, die erklärt hatten, Pinochet genieße als Senator auf Lebenszeit diplomatische Immunität. Das Gericht ordnete zugleich an, daß Pinochet weiter festgehalten werde. Die Staatsanwaltschaft kündigte bereits einen Einspruch gegen die Entscheidung an.

Die Begründung des Richters bezieht sich ausdrücklich auf die Frage, ob Pinochet vor englischen Gerichten ein Prozeß gemacht werden kann. Die spanischen Justizbehörden wollen heute entscheiden, ob sie einen Auslieferungsantrag für den Ex-Diktator stellen.

Pinochets Anwälte hatten den Haftprüfungsantrag gestellt. Seine Verhaftung in einer Londoner Privatklinik aufgrund des Auslieferungsgesuchs der spanischen Justiz sei illegal, argumentierten sie. Wenn das Gesuch vom Gericht bestätigt werde, könne Königin Elizabeth II. im Ausland ebensogut für Verbrechen belangt werden, die während des Falklandkrieges gegen Argentinien 1982 begangen wurden.

Der spanische Richter Baltasar Garzón ermittelt gegen Pinochet wegen Völkermordes, Folter und Terrorismus. Während seiner Gewaltherrschaft von 1973 bis 1990 sollen rund 3.000 Oppositionelle umgekommen und verschwunden sein, unter ihnen etwa 94 Spanier und spanischstämmige Chilenen. Auch in vier anderen europäischen Ländern gibt es Bestrebungen, Pinochet vor Gericht zu bringen.

Die Kommunistische Partei Chiles forderte unterdessen ein Referendum über eine Verfassungsänderung. Das Land müsse „auf der Grundlage der Wahrheit“ aufgebaut werden, sagte die kommunistische Präsidentschaftskandidatin Gladys Marin vor Journalisten. Außerdem müsse Pinochet vor Gericht gebracht und die Amnestiegesetze für die Verbrechen der Militärdiktatur müssen aufgehoben werden. Die chilenische Verfassung ist noch zu Zeiten Pinochets ausgearbeitet worden und gewährt ihm unter anderem einen Posten als Senator auf Lebenszeit.

Der Genfer Generalstaatsanwalt Bernard Bertossa kommentierte die Entscheidung des obersten Londoner Zivilgerichtes mit den Worten: „Dann hätte man auch Hitler für seine Taten nie vor Gericht stellen können.“ Wenn sich ehemalige Diktatoren wie Pinochet ein Leben lang hinter ihrer diplomatischen Immunität verstecken könnten, sei es unmöglich, sie wegen Völkermordes zu belangen. Bertossa hatte von Großbritannien ebenso wie die spanischen Strafverfolgungsbehörden die Auslieferung Pinochets gefordert.