Spektakel des Todes

■ Der Blues der Nach-Bürgerrechtsära: Sam Peckinpah und das Kino der Grausamkeit im Metropolis

1914 an der texanisch-mexikanischen Grenze: In US-Kavallerie-Uniformen verkleidete Banditen unter der Führung von Pike Bishop (William Holden) ziehen in einer endlos langen, virtuos geschnittenen Credit-Sequenz ins Städtchen Starbuck ein. Immer wieder friert das Geschehen abrupt ein, und die Standbilder erbleichen in Patina, als wolle ihr Regisseur Postkarten aus einer längst überholten Zeit an sein Publikum schicken.

Nun war der Western schon immer ein Medium der Selbstverständigung über den amerikanischen Mythos – doch diese ersten Bilder von The Wild Bunch, in denen die Bewegung der Bilder und der Mythos der Bewegung zum Stehen kommt, lassen bereits etwas von ihrer eigenen Unzeitgemäßheit erahnen. Während sich eine Gruppe frommer Abstinenzler versammelt hat, ist auch der Westen nicht mehr das, was er einmal war: zu kultivierender Garten Eden oder unschuldige Kindheit der Nation. Das Land ist trocken und wüst wie in den nihilistischsten Phantasien eines Sergio Leone, und die Kinder sind grausam. Mit sadistischem Leuchten in den Augen haben sie sich um einen Haufen von Ameisen versammelt, denen sie Skorpione zum Fraß vorwerfen. Später zünden sie dieses Naturspektakel des Todes mit etwas Stroh an. Dann kommt William Holden wieder ins Bild und sagt einen programmatischen Satz: „If they move, kill 'em!“ Darauf erscheinen die letzten Credits, „directed by Sam Peckinpah“, mit denen sich der Regisseur in die Annalen eines Kinos der Grausamkeit geschrieben hat – und ein Slowmotion-Massaker folgt.

Im Januar 1969 zieht Präsident Nixon ins Weiße Haus ein, und die US-Militärpräsenz in Vietnam erreicht mit 542.400 Mann ihren Höhepunkt. Vier Monate später findet vor 400 Lehrern eine Testvorführung von Peckinpahs apokalyptischem The Wild Bunch statt. „The worst potpourri of vulgarity, violence, sex and bloodshed I've ever seen put together“, ist auf ihren Antwortkärtchen zu lesen, oder: „The whole thing is sick!“

Mit The Wild Bunch war der Western als Kriegsfilm wiedergeboren worden – oder umgekehrt. Während in den Hochzeiten des Vietnam-Krieges in Hollywood kein einziger Film über diesen nie erklärten Krieg gedreht wurde, kehrte hier die Gewalt, wie sie spätestens seit dem Massaker von My Lai täglich über die TV-Bildschirme flimmerte, mit aller Wucht auf die Kino-Leinwand zurück. The Wild Bunch ist ein höchst widersprüchliches Kind seiner Zeit – politisch, thematisch, stilistisch. Genauso wie er am Beginn des „New Hollywood“ der Siebziger steht und mit jedem Frame den Blues der Nach-Bürgerrechts-Epoche atmet. Wenn The Wild Bunch aber noch heute, nach John Woo und Tarantino, seine Wirkung hat, kann das nicht allein an der Gewalt liegen. Wenn diese jenseits des Spektakels etwas sagt, dann, daß die amerikanischen Mythen mit Blut geschrieben wurden. Zugleich steht diese Gewalt am Ende des Traums des natürlichen Amerikas und ist das letzte, was Peckinpahs frauenlosen Protagonisten in ihrer psycho-sozialen Selbsterhaltung bleibt.

Wie in Easy Rider, der sich im selben Jahr aus der Gegenwart diesen Fragen näherte, kann die Reise der gesetzlosen Horde nicht mehr in den Westen führen. Auf der Flucht vor den Kopfgeldjägern der korrupten Eisenbahngesellschaft geraten Pikes Leute in die unamerikanischen Revolutionswirren jenseits der Grenze. Ana-chronistische Modernisierungsverlierer sind seine Figuren. Einer wird von einem Automobil geschleift, ein anderer hat sogar schon von so etwas wie einem Flugzeug gehört. Und wo John Ford Amerika noch in monumentalen Panoramen erstrahlen ließ, wird der Raum bei Peckinpah so eng wie der eines close-ups.

Im Hippie-Western Pat Garrett And Billy The Kid jagt der silberhaarige Todesengel James Coburn unter den Augen des schweigsamen Bob Dylan seinen alten Freund Kris Kristofferson, und alle Machoposen verblassen vor der lethargisch-bekifften Kreisförmigkeit der Bilder. Einst waren beide Gesetzlose, jetzt muß Garrett/Coburn verbittert feststellen: „Das Land wird alt, aber ich will mit ihm alt werden.“

Im vor Misogynie überschäumenden Vergewaltigungsdrama Straw Dogs zieht sich Dustin Hoffman als Intellektueller mit seiner Frau ins ländliche Cornwall zurück, das nach und nach, visuell von Peckinpah großartig inszeniert, zum Ort der blanken Paranoia wird – bis Hoffman in einer an The Wild Bunch erinnernden Gewaltorgie zu seinem „männlichen Selbst“ zurückfindet und seine Frau blutend zurückläßt.

Wie auch in dem in Mexiko gedrehten Roadmovie Bring Me The Head Of Alfredo Garcia ist die Bewegung des flüchtenden Outlaw-Couple Doc und Carol McCoy in Getaway zufallsbestimmt und wird so zu einer Studie des Driftens. Wer aber könnte das besser als Steve McQueen? Während Peckinpah bisweilen Ton und Bild wie der junge Godard einsetzt, erspielt sich McQueen an der Seite Ali MacCraws eine fast Belmondo-hafte Ikonizität, die einst Popbands ganze Alben schlicht Steve McQueen betiteln ließ. Und dennoch blitzt unter all der Lässigkeit dieses Traumpaars der Siebziger etwas auf, was man in den Filmen Peckinpahs selten findet: ein Hauch von Romantik.

The Wild Bunch: So, 1., 21.15 Uhr; Mo, 2., 21.15 Uhr; Mi, 4. November, 17 Uhr. Abgerechnet wird zum Schluß: Do, 12., 19 Uhr; Fr, 13., 21.15 Uhr; So, 15., 21.15 Uhr; Mi, 18. November, 17 Uhr. Straw Dogs: Do, 19., 21.15 Uhr; Sa, 21., 17 Uhr; So, 22., 21.15 Uhr; Di, 24. November, 17 Uhr. Pat Garrett: Mi, 25., 19.15 Uhr; Fr, 27., 17 Uhr; Sa, 28., 21.15 Uhr; So, 29. November, 17 Uhr. Getaway: Fr, 27., 21.15 Uhr; Sa, 28., 19.15 Uhr; So, 29., November, 21.15 Uhr, Metropolis. Die Reihe wird im Dezember fortgesetzt.