Durchdringend in der Höhe...“

■ ...aber nicht in der Masse: „Proxima Centauri“ spielte Neue Musik für gerade mal zwei Dutzend Insider

Als Hector Berlioz 1845 seine berühmte Instrumentationslehre schrieb, hielt er sich „nicht für verpflichtet“, alle Versuche neuen Instrumentenbaus zu erfassen. Einen nahm er aus: Adolphe Sax. Dessen Saxophon beschrieb er als „sanft und doch durchdringend in der Höhe, voll und markig in der Tiefe, höchst ausdrucksvoll in der Mittellage“. Der Siegeszug, den das neu erfundene Instrument um die Welt antrat, ist heute noch nachvollziehbar, besonders wenn das Instrument von solchen KönnerInnen gespielt wird wie jetzt Marie-Bernadette Charier, die in der Hochschule für Künste mit ihrem Ensemble „Proxima Centauri“ auftrat: das Saxophon verbindet sich mit den Instrumenten Flöte, Schlagzeug, Klavier und Elektronik. Im Programmzettel war zu lesen, „Proxima Centauri“ sei das einzige französische Kammermusikensemble, das Live-Elektronik in seine Grundformation fest integriert hat.

Das schürt natürlich eine gewisse Erwartung, die allerdings in dem Konzert nicht erfüllt wurde. Von den sechs Stücken boten nur zwei Elektronik, und das auf nicht eben überzeugende Weise: Thierry Allas „Ariènne“ zeigte ein girlandenartiges Flirren, nett, mehr nicht. In puncto Genauigkeit war dieses Stück allerdings eine Herausforderung, mit der das französische Ensemble generell überzeugte. „...Salvador por casualidad...“ für Baßflöte, Baßsaxophon, Klavier Schlagzeug und Elektronik von Francois Rossé hatte stark verbale Anteile, für die es im Programm leider keine Hinweise gab. Dafür ellenlange öde Biographien. Das Konzert zeigte, wie wichtig es besonders in Neuer Musik ist, über Programme und Präsentation nachzudenken. So jedenfalls kann man ein Konzert nicht machen. Kein Stück zeigte eine spezifische Ästhetik, eher dokumentierten alle eine l'Art-pour-l'Art-Hilflosigkeit, was man denn überhaupt noch machen kann. Christophe Havel (“AER“) führte von homophonen Klängen zu einer wuseligen Kontrapunktik, verlangte den Instrumenten keine Tonnuancierung ab. Eckart Beinke hingegen – selber Saxophonist – stellte große Ansprüche an die Instrumente und fiel mit schönen Klangeffekten auf(Introversion III). Was mögen die Gäste gedacht haben, die mit viel Geld und Aufwand aus Bordeaux hierherkamen? Vor der Pause gab's noch nicht einmal ein Dutzend ZuhörerInnen, nach der Pause zwei Dutzend. Die Öffentlichkeitsarbeit der Hochschule ist das eine Problem, das andere treibt selbst dem Außenstehenden die Schamröte ins Gesicht: daß gerade mal zwei Prozent der gesamten StudentInnen bei einem Hochschulkonzert mit Neuer Musik mit immerhin renommierten InterpretInnen anwesend sind. Viele Dinge kommen zusammen: Der Titel „Proxima Centauri“ trägt ebensowenig zur Neugier bei wie ein völlig uninformatives Plakat. Eine trotz netter Momente insgesamt vertane Chance im Verhältnis zum Aufwand.

Ute Schalz-Laurenze