Buchen Sie Unordnung!

■ K.Ö.N.I.G./K.Ö.N.I.G: Am Wochenende bieten Künstler im Künstlerhaus ihre Dienste an / Zum Beispiel ein Gespräch

Wäsche die zum Trocknen aufgehängt wurde, findet Marianne Tralau mindestens genauso spannend wie Skulpturen von Serra, Tinguely Rückriem. Zum Beispiel wenn Socken und Unterhosen vor malerischen Altbauten und ebensolchen Atomkraftwerken abhängen – Tralau dokumentiert das auf Fotos. Und wenn die Kulturbehörden dieser Welt die Schönheit dieser übersehenen Herrlichkeit endlich erkennen würden und ihnen Kunst-Zertifikate ausstellen würden, dann, ja dann könnte uns kein Hausmeister dieser Welt mehr verbieten, öffentlich unsere Wäsche trocknen zu lassen. Es handelt sich ja um Kunst am Bau. Anträge für die Kulturbehörde hat Tralau natürlich parat. Ebenso parat hat sie Fotos von einigen ihrer wunderschönen Installationen. Weinen könnte man bei der Gegenüberstellung alter, abgelegter Brillengestelle mit den ebenso alten Paßfotos ihrer Trägerin. Brillengestelle bleiben immer dieselben, Menschen nicht: eine Ungerechtigkeit.

Bei Tralaus künstlichen Nachbauten von realen Straßen- oder Gartensituationen schneidet die Kunst eher schlecht ab. Die wirkliche, knubbelige Häuserwand, der wirkliche, schrundige Asphalt ist immer spannender als ihre glatter, künstlicher Brüder: Eine kluge Installation, die Tralau als Hymne an die Realität versteht. Woher man das weiß? Ganz einfach, die ausgesprochen angenehme Künstlerin erzählt es so – und zwar nicht nur JournalistInnen, sondern auch Ihnen und Ihnen. Tralau ist für vier Tage aus Köln angereist und wartet täglich zehn Stunden auf Menschen, die mit ihr über Kunst, Bangkok oder Apfelkuchen sprechen wollen. Mit ihr, genauer: neben ihr, tun das noch acht weitere Künstler. Jeder sitzt alleine in einem winzigen Raum – behördenflurartig. Es ist exakt dieselbe räumliche Situation wie weiland in der Philipp-Starck-Ausstellung im Focke-Museum; nur daß diesmal hinter den Türen keine Vasen und Stühle warten, sondern Menschen, die seltsame Projekte vorstellen.

Das „Duo Daheim“ etwa (die Bremer Derk Classen und Andreas Kotulla) bringt seit 26.10. systematische Unordnung in die Wohnung einer gewissen Frauke Ebeling. Wenn sie am 1.11. ihr Heim wieder in Besitz nehmen, dann werden alle Dinge – Klamotten, Geschirr, Bücher – nach Farben geordnet sein. Die weiße Hegelausgabe ruht vermutlich neben der Unterwäsche, der Lippenstift bei den Tomaten. Frau Ebeling wird die Ordnungsmuster ihres Kopfes revolutionieren müssen. Sonst gibt es ein Unglück, entweder beim Kochen oder beim Schminken. Der Mensch soll ja an Schwierigkeiten wachsen, heißt es.

Jürgen Krusche und Hainer Wörmann laden ein zu einer akustischen Stadtführung. 30 Minuten Straßenkrawall werden aufgezeichnet und später in Ruhe noch einmal abgehört: Dabei werden sich manche Dinge ganz anders anhören, als sie im eigenen Vorstellungshaushalt eingespeichert sind, manches ist gar nicht zu identifizieren, anderes wiederum zieht sofort Erinnerungsbilder nach sich. Auch so ein Hymnus an die verborgenen Wunder der Wirklichkeit.

Die fast durch die Bank sympathischen Konzepte haben eines miteinander gemein. Sie hängen nicht friedlich an einer Wand, sondern mischen sich mehr oder weniger rabiat in das Leben der KunstkonsumentIn ein. Mal wird sie an die Wertpapierbörse mitgeschleppt um über Finanzkreisläufe und Wirtschaftsschwurbeldeutsch nachzudenken, mal darf sie ihr ausmusterungsreifes Auto einer rituellen Beerdigung zuführen. Eine Art Beihilfe zur Trauerarbeit. Eine psychosoziale Dienstleistung.

Und so steht das 4-Tage-Projekt unter dem Motto: Kunst als Dienstleistung. Mit dem legendären Bremer McKinsey-Gutachten hat die Veranstaltung direkt nichts zu tun, meint Anne Schlöpcke vom Künstlerhaus. Aber natürlich ist es die Intention des Projekts der widerwärtigen Vorstellung von einer dienstleistenden Gefälligkeitskunst – Musical, Hollywood, etc. – einen anderen Begriff von leistbaren Diensten entgegenzusetzen. Zum Beispiel das Annähern von Tomate und Lippenstift. Also eher Beuys erweiterter Kunstbegriff als Jekyll&Hyde.

Abends gibt es dann die Theorie zur Praxis. Freitags ab 20 Uhr und samstags ab 19 Uhr referieren Künstler und Kunstwissenschaftler über die Marktmechanismen der Kunst und über eine bestimmte Art des Sprechens über Kunst. Bei der Eröffnung meinte ein launig aufgelegter Narciss Göbbel – einer der McKinsey-Afficcionados, daß die Kulturbehörde durchaus in Erwägung zieht, das Künstlerhaus in den Rang eines Dienstleisters zu erheben. Diese entzückende Eigenpersiflage hörten fast nur Insider, also Künstler und Journalisten. Maike Hartwig war es, die auf diesen ewig-alten Mißstand aufmerksam machte. Sie verteilte nämlich an alle Gäste Buttons mit der Aufschrift „dienstlich“ oder „privat“. Erstaunlich, wieviele Menschen sich dienstlich mit dem Thema Dienstleistung auseinandersetzen. Aber auch für „privat“ ist das Projekt eine empfehlenswerte Gelegenheit, mit netten Künstlern zu plauschen. Barbara Kern

Fr+Sa 10-18h, So 10-15h. Am Freitag gibts nach den Vorträgen Disco.