Wie die Gräte im Gehörgang

Barbara Morgenstern macht Musik, die erst flauschig klingt, bei genauerem Hinhören aber auch irritiert und wehtut  ■ Von Susanne Messmer

Gut, daß diese Platte jetzt, im Spätherbst, rauskommt. Barbara Morgenstern im Hochsommer, das wäre undenkbar. Ihre Lieder erzählen davon, daß der Himmel nie mehr blau wird. Wer jetzt kein Haus hat, dem traut diese Musikerin nicht zu, daß er sich noch eins baut: „Wirf den Kopf in den Fluß, ich dachte ich muß – verliert sich von selbst.“ Ihre Lieder machen Frostbeulen, wenn auch durchblutungsfördernde.

Als sie vor vier Jahren nach Berlin gekommen ist, gründete sie mit Joe Tabu, dem Erfinder der Wohnzimmermusik, eine Band mit dem bezeichnenden Namen Oof und veröffentlichte eine Platte beim Major East West, die gewaltig floppte. Doch ohne den sich anschließenden Frust hätte Joe Tabu 1996 vielleicht nie Lust bekommen, kleine, private Konzerte zu Hause im eigenen Wohnzimmer zu veranstalten. Dann wäre wohl nie jenes Forum entstanden, an dem nicht nur Barbara Morgenstern ansetzen und weitermachen konnte, sondern auch die Berliner Band Quarks, und die Idee für das feine, kleine Wohnzimmermusik- Label Monika Enterprise von Gudrun Gut, wo jetzt das neue Album von Barbara Morgenstern erscheint. Und was ist heute aus der Idee mit der Wohnzimmermusik geworden? „Es war schön, eben eine von diesen skurrilen Ideen von Joe Tabu, aber jetzt, wo die Musik nicht mehr in den Wohnzimmern stattfindet, wo statt dessen Stehlampen auf die Bühne gestellt werden, hat sich das erledigt“, findet Barbara Morgenstern. Trotzdem: Ihre Musik ist zum Zuhören. Sie kann nur in einem geschützten Raum entstehen, der ohne Posen funktioniert. Am besten sind ihre Konzerte, wenn man sitzen und ihr ganz nah sein kann. Mit nichts hat das weniger zu tun als mit Rock'n'Roll. So kann es auch kein Zufall sein, daß es dort, wo Barbara Morgenstern musiziert, so viele Frauen gibt. „Es ist noch nicht definiert, was da passiert. Und genau das ist die Chance, mal was anderes zu machen als das „Weibliche“, was als Gegenpol zum Männlichen funktioniert“, sagt sie.

Barbara Morgenstern schreibt ihre Lieder zu Hause auf ihrer tschechoslowakischen Vermona- Orgel, die sie für dreihundert Mark auf dem Flohmarkt erstanden hat. Außerdem benutzt sie einen Drumcomputer und einen Sampler, Geräte, die bequem in jeder Besenkammer Platz hätten: Ein Mikrokosmos, in dem alles erlaubt ist, aus dem unendliche Weiten entstehen. Ihre Songs klingen manchmal nach tschechischen Märchenverfilmungen, nach „Der dritte Mann“ oder Italowestern.

Immer fragt man sich: Wieso ist es auf einmal so nett hier? Und gleichzeitig: Das Gehör ist vereist und tut weh. Diese Leichtigkeit, die sich verhakt, diese vage Verbindlichkeit ist der Clou an Barbara Morgensterns neuem Album „Vermona ET 6-1“. Alles, was sie hier macht, berührt so sehr, daß es manchmal peinlich wird. Ihre Songs wecken Sehnsüchte, die nicht befriedigt werden, weil die Enden ausfransen und einfach nicht rund werden wollen. Der unbekümmerte Zugang dieser „Joan Baez der Elektronik“ zum Sound der 80er, einem Sound wie Neue Deutsche Welle ohne Pop, stürzt jeden in Verwirrung. Barbara Morgenstern erklärt das so:

„Niedlich, lieb und nett bin ich nur privat. Ich habe einfach keine Lust, so tief in die Gefühlskiste zu greifen und plakativ zu werden. Obwohl das auch noch mal ein Anreiz wäre, mitreißender zu werden“. Man ahnt schon, daß mitreißend und mitreißend hier zweierlei sein kann. Aber vielleicht gründet sie bald selbst ein Band – auch wenn das schwierig sein wird, weil die Lieder, die sie schreibt, immer so ausgearbeitet sind, daß Mitmusiker kaum Möglichkeiten haben, sich einzumischen.

Vielleicht liegt das daran, daß sie mal Jazzpianistin werden wollte und nur angefangen hat, in einer Band zu singen, weil sie dafür nicht üben mußte. Vielleicht aber hat Barbara Morgenstern auch mit ganz alten Mitteln etwas ganz Neues erfunden, zu dem sich Außenstehende, und das sind alle außer ihr, erst Zugang verschaffen müssen. Oder, um es in ihren Worten zu sagen: „Jetzt wird das Wort zum Salz und löst sich auf. Gib es frei.“

Record-Release-Party ab 22 Uhr im Maria am Ostbahnhof, Straße der Pariser Kommune 8-10